Standort : Christoph Leitl: Seidenstraße darf nicht zur Seidenschnur für Europa werden

Zwiespältig sind die Perspektiven der "neuen Seidenstraße", also Chinas großer weltweiter Investitionsoffensive, für den früheren WKÖ-Chef Christoph Leitl. Sie könnte eine Chance sein, wenn alles fair abläuft. Werde aber nicht auf Augenhöhe gearbeitet, dann "kann die Seidenstraße zur Seidenschnur für Europa werden", sagte er im Gespräch mit der APA.

Können Europäer den Shanghaier Hafen aufkaufen - so wie Chinesen Piräus?

So wie China den Hafen von Piräus kaufe, müssten auch Europäer den Hafen von Shanghai kaufen können. Wenn chinesische Investoren für den Bau einer Eisenbahnlinie in Europa EU-Förderungen erhalten, müssten auch europäische Investoren in China Eisenbahnen bauen dürfen. Aber in Wahrheit sei die angekündigte Öffnung der chinesischen Wirtschaft bei der Abschaffung von Barrieren noch lange nicht dort, wo man sein müsste.

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"Politisch lachen die über uns"

"Die haben eine ganz klare Zielsetzung", so Leitl, derzeit Präsident der europäischen Vereinigung von Wirtschaftskammern Eurochambres. Die Seidenstraße sei in Wahrheit eine Riesenplattform, die von Asien über Russland nach Europa und Afrika gehe und als nächstes Ziel Lateinamerika anstrebe.

"Wobei China die strategischen Positionen besetzt und mit seinen ungeheuren finanziellen Mitteln Länder in seine Abhängigkeit bringt - langfristig auch in eine politische Abhängigkeit, machen wir uns da nichts vor". China zahle "strategische Kaufpreise". Das füge sich in die Strategie ein, bis 2049, also in 30 Jahren, die politisch, wirtschaftlich und militärisch stärkste Macht der Welt zu sein.

"Wir sind im Wettbewerb der Systeme"

Auch politisch "lachen die nur über uns" so Leitl mit Blick auf den Brexit, Pattstellungen unter den 28 EU-Staaten oder die gegenseitige Blockade der beiden Kammern des US-amerikanischen Parlaments. "Wir in China entscheiden rasch" sei das Gegenkonzept "und in der heutigen Zeit glauben wir, dass rasche Entscheidungen eher zielführend sind".

"Wir sind im Wettbewerb der Systeme", sagt Leitl. Damit wiederholt der frühere WKÖ-Chef, was zuvor auch der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Chef des Europäischen Maschinenbauverbands Cecimo sowie zuletzt IV-Chef Georg Kapsch gesagt haben.

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Leitl weiter: Wenn nun US-Präsident Donald Trump "America First" propagiere, dann verliere "der Westen", als der Europa und die USA in Asien gemeinsam erlebt würden, jede moralische Autorität. Dann könne sich China frei fühlen, ebenfalls auf die individuelle Stärke zu setzen. Das sei der langfristige Schaden durch die Politik Trumps.

Europa stehe da in der Mitte, "innerlich zerrissen, in vielen Punkten nicht handlungsfähig, und auf der Suche nach einer Perspektive, um in der Champions League zu bleiben". Europa müsse sich fragen, welche Lebensperspektiven junge Menschen in zehn Jahren haben werden, "wie kann man junge Menschen begeistern". Leitl wünscht sich auch für die Debatte zur EU-Wahl im Mai "einmal einen faszinierenden Beitrag, wo die jungen Leute sagen: 'das ist etwas für mich'".

Rechtspopulismus: "Alles ist eine Wellenbewegung"

Leitl will sich nicht lange mit dem Rechtspopulismus in Europa auseinandersetzen, denn "alles ist eine Wellenbewegung". Nach dem Fall der Mauer hätten viele geglaubt, nun habe die liberale Demokratie gewonnen - aber dazu gebe es nun eine Gegenbewegung, die auch wieder abflauen werde. Man solle nicht so sehr ängstlich darauf schauen, wie stark die destruktiven Kräfte sind, sondern lieber "zeigen, wofür man steht - und das fehlt mir derzeit".

Europa hat Kommunikationstechnologien an USA verloren - und verliert gerade KI an China

Wirtschaftlich baut Leitl auf "intelligentes Wachstum", den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft als neues Modell. Das könnte Europa entwickeln und könnte ein Megatrend sein, bei dem Europa führend ist, "nachdem wir die Kommunikation an die USA verloren haben und im Begriff sind, die künstliche Intelligenz an China zu verlieren". (apa/red)