Hintergrund : China und Europa: Es droht ein Ende der Harmonie

China ignoriert eine Entscheidung des Haager Schiedshofes über Territorien im Südchinesischen Meer. Spitzenpolitiker der EU, die gerade zu Gast in Peking sind, halten sich mit Kritik lieber zurück. Es gibt auch so genügend Probleme zu lösen.

Mit einem Lächeln im Gesicht tritt Jean-Claude Juncker ans Rednerpult in der Großen Halle des Volkes. "Ich glaube, dass unsere Beziehungen eine gute Zukunft haben", sagt er zu Chinas Regierungschef Li Keqiang. Der hat in seiner Antwort ebenfalls viel Lob für seinen Gast übrig: "Eine größere Kooperation ist vollständig in unserem Interesse", sagt Li und betont, dass es "keinen fundamentalen Konflikt" zwischen den beiden Seiten gebe.

Bei ihren Reden vor Wirtschaftsvertretern anlässlich des EU-China-Gipfels in Peking geben sich am Mittwoch beide Seiten sichtlich Mühe, Kritik - wenn überhaupt - nur dosiert zu verteilen.

Hinter den Kulissen ist der Ton jedoch schon seit Monaten rauer. Ausgerechnet in der Wirtschaftspolitik, die die Basis der Beziehungen Brüssels zu Peking bildet, sind die Meinungsverschiedenheiten mittlerweile so groß, dass EU-Diplomaten selbst einen ausgewachsenen "Handelskrieg" nicht mehr ausschließen wollen. Der derzeit wichtigste Streitpunkt: die anstehende Einstufung Chinas als Markwirtschaft. Mehr dazu unter: MES: Europa und China steuern auf einen neuen Großkonflikt zu >>

Bereits 2001, als China der Welthandelsorganisation (WTO) beitrat, wurde dem Land in Aussicht gestellt, im Dezember 2016 in den Club der Marktwirtschaften aufgenommen zu werden. Was erstmal sehr technisch klingt, hätte ganz konkrete Auswirkungen: Der Status würde das Land künftig vor teuren Anti-Dumping-Klagen bewahren - also vor Beschwerden, dass es seine Produkte unter Preis verkauft.

EU wirft China Dumpingpreise vor - besonders bei Stahl

Für Brüssel, das China schon jetzt vorwirft, den europäischen Markt mit Stahl und anderen Produkten zu Dumpingpreisen zu fluten, eine Horrorvorstellung: "Wenn der Marktwirtschaftsstatus durchkommt, sind alle Schleusen offen", warnt der Vertreter eines deutschen Industrieunternehmens in Peking.

Obwohl Juristen China gute Chancen einräumen, den Status notfalls vor Gericht durchzusetzen, hatte sich das EU-Parlament im Mai mit großer Mehrheit gegen den Marktwirtschaftsstatus ausgesprochen. Das stößt in China auf harte Kritik: "Es gibt einen bindenden WTO-Vertrag und trotzdem stellt sich die EU nun quer. Dabei gibt sich Europa doch sonst immer als Verfechter internationaler Regeln", sagt der Pekinger Außenpolitik-Experte Xing Hua.

"Nahezu symbiotisches Verhältniss" läuft allmählich aus

Der Fachmann für europäisch-chinesischen Beziehungen sieht aber noch ein anderes, grundlegenderes Problem: "Bisher hatten Europa und China ein nahezu symbiotisches Verhältnis, weil beide Seiten voneinander profitierten." Das ändere sich.

China war in den vergangenen Jahrzehnten mit seinem gewaltigen Heer günstiger Arbeitskräfte ein gefragter Produktionsstandort für europäische Unternehmen. Die profitierten gleichzeitig vom Konsumhunger der wachsenden Mittelschicht des Landes. "Nun aber nimmt der Wettbewerb zu", sagt Xing Hua.

"Made in China 2025" als Kampfansage

Chinas Kampfansage an Europas Industrie trägt den Titel "Made in China 2025". Der ambitionierte Regierungsplan sieht vor, in vielen Sektoren die Technologielücke zu westlichen Firmen zu schließen und selbst Weltmarktführer hervorzubringen.

Produktionsanlagen sollen modernisiert werden und ausländische Technologieexporte durch eigene Innovationen ersetzt werden. Bis zum Jahr 2049, dem 100. Geburtstag der Volksrepublik, soll das Land dann zu einer "Industrie-Supermacht" aufsteigen.

Die chinesische Aufholjagd im Wettbewerb um technologische Vormachtstellung wird das "europäisch-chinesische Verhältnis auf Jahrzehnte prägen und hat weitreichende Konsequenzen für die europäische Wirtschaft", sagt Mikko Huotari vom China-Institut Merics in Berlin. Auch deutsche Vorzeigebranchen wie der Maschinenbau, Elektrotechnik und letztendlich sogar der Automobilsektor würden "stärker unter Druck" geraten.

(von Jörn Petring / dpa / APA / red)