Digitalisierung : BRP-Rotax-Chef Thomas Uhr: "Um unser Tempo beneiden uns neun von zehn Automobilisten"

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Uhr, nach fast 22 Jahren bei Daimler traten Sie 2014 beim Mittelständler BRP-Rotax an. Ihr Vorgänger sprach von „Jahren der Veränderung“, die nun auf das Unternehmen zukommen würden. Hat er übertrieben?

Thomas Uhr: Unser Werk ist auf einem technologischen Stand, den wir vor drei Jahren noch nicht hatten. Wir investierten in Maschinen und Anlagen mit größerer Konnektivität, neue Steuerungstechnik und eine Pilotlinie mit fahrerlosen Transportsystemen und kollaborativer Robotik. Wir leisten uns also eine digitale Spielwiese ...

... die Sie Ihrer Vision „Gunskirchen2020“ näherbringen soll: optimale Wertschöpfung dank digitaler Prozessketten. Noch aber verlassen Großchargen das Gunskirchener Werk, die bei den Schwesterwerkenn Mexiko oder Kanada nach deren Not- wendigkeit gepuffert werden.

Uhr: Unsere Schwesterwerke rufen in der Regel noch kulminierte Bestellmengen bei uns ab. Mit dem finnischen Montagewerk Rovaniemi, in dem Allradfahrzeuge und Schneemobile montiert werden, planen wir für heuer den Testfall einer maßge- schneiderten Prozesskette: Wir nehmen Zugriff auf deren Produktionsplanung und bilden sie in unserem Produktionssystem ab. Das wird kaum ein Zehntel unserer Produktionsressourcen binden. Wenn es sich bewährt, nehmen wir weitere Werke dazu.

Mittelfristig soll der Kunde mit seiner Bestellung automatisiert einen Prozess entlang der gesamten Lieferkette in Gang setzen.

Uhr: Das ist der nächste Schritt und unsere große Vision. Im Rahmen des Bestellvorgangs soll bereits die Komponentenver- fügbarkeit in den Schwesterwerken oder bei externen Zulieferern geprüft und ein verbindlicher Liefertermin fixiert werden.

Stichwort Produktindividualisierung. Was ist der Endkunde bereit, für ein kundenindividuell gefertigtes BRP- Produkt zu geben?

Uhr: Es ist vorstellbar, dass Gunskirchen künftig einmal für einen Schneeschlitten einen 850-Kubik-Motor plus Leistungspaket und Prägung der Initialen am Zylinderkopfdeckel individuell für den Endkunden fertigt und montiert. Im Premiumsegment ist das vorstellbar. Denken Sie an die Daimler-High-Performance- Marke AMG. Da ist der Kunde bereit, für Eigenständigkeit tiefer in die Tasche zu greifen.Die Digitalisierung soll Sie näher an den Endkunden rücken lassen. Müssen sich Ihre Distributionspartner berechtigte Sorgen machen? Uhr: Dazu besteht kein Anlass. Turnusmäßige Wartungen werden immer physikalisch vor Ort stattfinden, man wird wohl kaum immer nach Gunskirchen kommen wollen oder ins Werk Mexiko.

Aber Software-Updates könnten Sie nun deutlich schneller in Fahrzeugsysteme einspielen. Ein Geschäftsmodell für die Zukunft?

Uhr: Elektronische Updates werden mit Sicherheit häufiger. Im Flugzeugbereich aber sind Online-Updates, so wie diese Tesla durchführt, mit der Zertifizierung derzeit kaum unter einen Hut zu kriegen. Bei anderen Antriebslösungen wird das aber in zwei, drei Jahren mit einiger Wahrscheinlichkeit zu unserem Standardrepertoire gehören.

Maschinen- und Anlagenbauer versprechen sich von der Zustandsüber- wachung ihrer Produkte ein attraktives Nebengeschäft. Ein Ziel für den Antriebsbereich?

Uhr: Technisch ist es jedenfalls realisierbar. Bei unseren Testflügen mit Versuchsträgern gelangen motorspezifische Daten, wie etwa der Verbrauch beim Anflug des Zielflughafens per GSM-Netz, bereits automatisiert in unsere Datenbanken. Ob der Kunde derartige Informationen selbst ab- rufen will, loten wir gerade aus.

Stichwort Automobilindustrie: Die ist Treiber des Digitalen. Fehlt Ihnen das in der Welt des Mittelständlers?

Uhr: Im Gegenteil. Um unsere Innovationsgeschwindigkeit und Motorenvielfalt beneiden uns wohl neun von zehn Automobilisten. Nur mit unglaublichem Mitteleinsatz schafft es die Autoindustrie, das Qualitätsniveau aufrechtzuerhalten. Die Quote Überraschung pro Zeiteinheit ist in Gunskirchen jedenfalls deutlich höher als in der Automobilindustrie.

Auch ein Start-up haben Sie in der Pipeline ...

Uhr: Wir gründen gerade ein Start-up, das in Richtung schlüsselfertiges Entertainment denken soll. Hierbei geht es in erster Linie um die Entwicklung eines umfassenden Geschäftsmodells, aber auch um den Aufbau weltweiter Vertriebs- und Service- funktionen.

Die Firma wird am Standort Gunskirchen angesiedelt sein?

Uhr: Das ja, sie wird aber nicht in die bestehenden Abteilungsstrukturen eingebunden sein. Wenn zur Umsetzung einer neuen Idee die Nachteile bestehender Strukturen gegenüber den Vorteilen überwiegen, sollte man einen anderen Weg einschlagen. Und das tun wir.

Vielen Dank für das Gespräch!