Hintergrund : Brexit: "Vorbereiten auf etwas, von dem niemand weiss, was es wird"

Der Verkehr, das sei für Dover die größte Brexit-Herausforderung, sagt Susan Jones: "Das ist unsere Sorge als Geschäftsleute: Dass wir hinauscrashen ohne Deal und das bedeuten würde, dass wir einen Verkehrskollaps hätten und niemand hierher gelangen könnte, und das wäre wirklich schlecht für uns als Unternehmen."

Susan führt einen Kiosk und Eisstand an jenem Ende der Strandpromenade von Dover, wo der Hafen beginnt. Hinter ihr sind die weißen Kreidefelsen, ein Stück weiter Richtung Stadtzentrum thront hoch oben das jahrhundertealte, imposante Dover Castle, links vor ihr liegt der Ärmelkanal mit den Fähren voller Lkw und Pkw und den Kreuzfahrtschiffen.

Natürlich sei man hier an den Verkehr gewöhnt, sagt sie - "an den Wochenenden im Jahr, wenn alle auf Urlaub fahren, da sind wir den Verkehrsstillstand gewohnt, aber das geht vorbei. Es dauert ungefähr zehn Stunden, und irgendwann lässt es nach." Damit lebe man hier einfach. "Aber die Sorge beim Brexit ist, dass es Wochen statt Tage sein könnten, und das ist die Angst."

Es seien "die kleinen Dinge", die den Menschen die größten Sorgen bereiteten. "Wie werde ich die Kinder in die Schule bringen, wenn die Straßen blockiert sind? Kann ich meine Mutter besuchen, die in einem Pflegeheim lebt? Und werden die Pfleger überhaupt in die Arbeit kommen können? Wird es einen Mangel an medizinischen Produkten geben?"

Sie selbst habe auch eine Sichtweise als Unternehmerin, "aber als Menschen machen wir uns einfach Sorgen, wie wir mit unserem Leben weitermachen können". Wobei sie in einer besonderen Lage ist: Als leidenschaftliche Motorradfahrerin kann sie "den meisten Staus ausweichen", wie sie sagt: "Immer funktioniert es nicht, aber in neun von zehn Fällen kommen wir dorthin, wo sonst niemand hingelangt."

Geschäftlich betrachtet müssten aber natürlich auch die Lieferungen mit dem Eis ankommen, das sie verkauft. Und das sei nicht etwas, was ewig herumstehen könne.

Das Eis, das Susan anbietet, wird ganz in der Nähe erzeugt, "sieben Meilen von hier, in Deal, und die Farm, von der sie die Milch bekommen, ist nur über die Straße von ihnen". Wenn alles gut gehe, sollte es, abgesehen vielleicht von anderen Inhaltsstoffen, daher zumindest keine größeren Probleme bei der Produktion geben.

Aber die Lieferung sei ein anderes Thema. "Im schlechtesten Fall wird vielleicht ein Schild da hängen: 'Sorry, heute kein Eis'", meint sie.

Auch der Regierung in London ist natürlich bewusst, dass es rund um den Hafen von Dover und weit darüber hinaus gelinde gesagt Probleme mit dem Verkehr geben könnte, wenn das Vereinigte Königreich ungeregelt aus der Europäischen Union ausscheiden sollte. Immer wieder - zuletzt Anfang vergangener Woche - werden daher unterschiedliche Verkehrsszenarien getestet.

Ist Dover also auf den Ernstfall vorbereitet? "Jeder versucht, für etwas zu planen, von dem niemand eine Ahnung hat, was es wird", sagt Susan dazu. Allerdings sei diese Planung eine nationale Angelegenheit. Die lokalen Gremien säßen zwar mit am Tisch, hätten aber nicht das Kommando über diese Tests.

"Wir haben alle gesagt, dass sie nicht realistisch gewesen sind. Es gibt alle 15 Minuten eine Fähre, diese Fähre hat 90 Lkw geladen. 45 Lkw von (dem stillgelegten Flughafen) Manston herunter zu bringen und dann jeden vorzuwarnen, sodass wir uns von diesen Straßen ferngehalten haben - der Verkehr war nicht realistisch."

Es sei "furchtbar frustrierend", sagt Susan. Und sie spricht aus Erfahrung. Sie führt dieses Gespräch zwar ausdrücklich als Privatperson und Geschäftsfrau und nicht als Politikerin, aber sie ist auch Bürgermeisterin von Dover - eine Art Ehrenamt, das unbezahlt und auch nicht mit Macht und Einfluss verbunden sei, fügt sie hinzu, denn in Kontinentaleuropa sei das ja anders.

In Dover haben 2016 ganze 62 Prozent für den Austritt aus der EU gestimmt. Susan nicht. "Ich war ein 'Remainer', und ich bin stolz, das zu sagen. Aber die Entscheidung ist gefallen, und ich, wie viele andere Leute auch, mit denen ich spreche, wollen jetzt einfach, dass die Politiker es durchziehen."

Dover werde das schon schaffen, sagt sie. "Es ist mit Weltkriegen und Invasionen fertig geworden, es wird zurechtkommen. Wir werden mit dem Brexit zurechtkommen."

(Von Alexandra Angell, APA)