Unternehmensnachfolge : Betriebsübergabe: Im Schatten des Alten

Manche Übergaben enden vorm Gericht. Manche sogar vor dem Obersten Gerichtshof. Bis dorthin hat Artur Doppelmayr, inzwischen beachtliche 90 Jahre alt, die Entscheidung seines Sohnes bekämpft, das Familienunternehmen Doppelmayr mit der Schweizer Graventa Group zu fusionieren. Um den Rauswurf des Seniors aus dem Aufsichtsrat ging es vor dem Obersten Gerichtshof ebenso wie um die Entlastung des zum Vorstand aufgestiegenen Juniors, der der alte Herr partout nicht zustimmen wollte. Das Zerwürfnis war absolut klassisch: Während Sohn Michael 2002 mit der neuen Partnerschaft das Unternehmen für die Zukunft absichern wollte, sah der greise Senior durch so viel Änderung sein gesamtes Lebenswerk gefährdet und lief dagegen Sturm: „Ein österreichisches Familienunternehmen, immer zu 100 Prozent in Familienbesitz, soll plötzlich nicht mehr sein, was es immer gewesen war“, beklagt er sein Schicksal.Auf einmal soll nichts mehr sein, wie es immer war. Kein seltener Fall, wenn in Familienunternehmen die nächste Generation ans Ruder kommt. Und vor allem dann ein Problem, wenn ein allmächtiger Patriarch an seine Kinder übergibt. „Sehr oft können die Pioniere nicht loslassen“, sagt Rainer Buchner, Wirtschaftspsychologe und als solcher bereits bei unzähligen Betriebsübergaben dabei. Einerseits, sagt er, wollen die Patriarchen, dass die Kinder ihr Lebenswerk fortsetzen, andererseits sollen die Kinder aber bei jeder Entscheidung, den Senior fragen. Zurück aufs Schlachtfeld Im schlimmsten Fall, sagt Buchner, entwickelt der Übergeber dann das Syndrom des Generals: „Ein solcher General wartet nur darauf, dass im Unternehmen etwas schiefläuft und er dann in die Schlacht zurückgeholt wird, um das Vaterland zu retten.“ Das beste Gegenmittel sei, rechtzeitig zu übergeben, sagt Buchner. Lesen Sie weiter: "Irgendwann kamen wir auch ohne seine Hilfe zurecht"

Je jünger der Übergeber ist, desto leichter gelingt es ihm in der Regel auch, einen klaren Schnitt zu machen und nicht bloß pro forma zu übergeben. Annette Klinger, heute Internorm-Chefin, kann sich noch sehr genau an den Tag erinnern, an dem sie das Vorstandsmandat von ihrem Vater übernommen hat: „Mein Onkel und mein Vater haben mir die Schlüssel der Firma gegeben und sind von da an nur noch auf Einladung gekommen.“ Annette Klingers Vater war zu diesem Zeitpunkt 57. Vier Jahre früher hat er die Tochter vor eine ziemlich harte Entscheidung gestellt: „Ich bin jetzt 53, in vier Jahren will ich in Pension gehen. Wenn du noch etwas von mir lernen willst, musst du jetzt kommen.“ Auch Gunther Knill hat vor dem Erreichen des regulären Pensionsalters übergeben, nicht ganz geplant. Ursprünglich wollte der Chef der Knill-Gruppe, die damals einen Umsatz von 90 Millionen Euro bei rund 800 Mitarbeitern machte, bis 65 bleiben. Um die Übergabe gut vorzubereiten, ließ er allerdings schon früh seine beiden Söhne Christian und Georg in unterschiedlichen Teilbereichen des Unternehmens werken. „Wir berichteten an den Vater und irgendwann hat er wohl gemerkt, dass wir ganz gut auch ohne seine Hilfe zurechtkommen“, erinnert sich Georg Knill.Knill senior reagierte auf die frühe geschäftliche Reife seiner Söhne ganz und gar nicht beleidigt: Er verlegte seine Pension nach vor. Dem Unternehmen schadete es nicht. Die Knill-Gruppe macht heute 250 Millionen Euro Umsatz und beschäftigt 1600 Mitarbeiter. Avocados statt Aufsichtsrat „Dass der Vater sich so leicht damit tat, zurückzutreten, liegt auch daran, dass er immer Interessen neben dem Betrieb hatte“, sagt Georg Knill. Frei nach dem Motto „einmal Unternehmer, immer Unternehmer“ widmete sich Knill senior daher in der Folge unter anderem der Kreation von Parfums, einer Avocadoplantage in Spanien und übte sich in der hohen Kunst des Brotbackens. Anfangs stand er den Söhnen auch noch im Rahmen eines informellen, mit keinerlei Befugnissen ausgestatteten Familienbeirats als Berater zur Verfügung. Lesen Sie weiter: Planung ab dem Volksschulalter ...

Für viele Familienunternehmen wäre die Frage, wie man die Übernehmer am besten berät, allerdings bereits ein Luxusproblem. Denn gerade mittelständische Betriebe haben das Problem, überhaupt einen Nachfolger aus den Reihen der Familie zu finden. Nach Angaben der KMU Forschung Austria fanden 1996 noch 75 Prozent der Übergaben innerhalb der Familie statt. 2006 waren es nur noch 50 Prozent. Und der Trend dürfte anhalten. Suche nach dem Alpha-Tier Auf die Frage, wie man es schaffen kann, den eigenen Nachwuchs ans Unternehmen zu binden, gibt es jedenfalls bis heute keine Patentantworten. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Wege, die Unternehmerfamilien im Umgang mit der Nachfolgegeneration pflegen. Die niederländische Familie Brenninkmeyer, unter anderem Eigentümerin des Kleiderriesen C&A, setzt auf generalstabsmäßige Planung vom Volksschulalter an. Der Clan organisiert eigene Ferienlager für den mittlerweile zahlenmäßig durchaus beeindruckenden Nachwuchs, bei denen Spiel, Spaß und körperliche Ertüchtigung in freier Natur im Vordergrund stehen. Zugleich wird aber penibel beobachtet, welches Kind Alpha-Tier-Züge trägt und somit für Führungsaufgaben prädestiniert ist und welches doch lieber die Laufbahn eines Bibliothekars einschlagen sollte.Etwas Ähnliches veranstaltete auch die im oberösterreichischen Kremsmünster ansässige Greiner-Gruppe, als man für die 2001 erfolgte Ablöse von Altchef Peter Greiner nach geeigneten Nachfolgern suchte. Die in Frage kommenden Kinder waren zu diesem Zeitpunkt allerdings längst aus dem Volksschulalter heraus, weshalb man für sie statt eines Ferienlagers den sogenannten Goldfischteich einrichtete: eine Reihe von regelmäßigen Zusammenkünften mit Managern des Unternehmens, bei denen der Nachwuchs auf seine unternehmerischen Qualitäten geprüft wurde. Jene zwei Fische, die in dem von Peter Greiner erfundenen Biotop am besten reüssierten und sich auch noch vor externen Beratern bewährten, sollten als Nachfolger eingesetzt werden. Alle anderen mussten sich einen Job außerhalb des Familienunternehmens suchen. Um das Gleichgewicht zwischen dem österreichischen und deutschen Zweig des Clans zu wahren, wurden schließlich der Österreicher Boris, damals 31, und der Deutsche Axel, damals 37, als Nachfolger auserkoren. Ein nach allen Regeln der Kunst optimiertes Ergebnis.Allein: Manchmal wirft das Leben selbst die exakteste Planung über den Haufen. Mit 39 schied Boris Greiner aus persönlichen Gründen aus dem Vorstand aus, drei Jahre später ging auch Axel Greiner. Inzwischen wird das Unternehmen von zwei externen Managern geführt. Der Goldfischteich ist, jedenfalls vorläufig, trockengelegt. Allein unter Aliens Dass Übernahmeszenarien nicht immer wie geplant funktionieren, weiß auch Annette Klinger. Als die heutige Internorm-Chefin zarte vierzehn Jahre alt war, bedrängten externe Manager ihren Vater, rechtzeitig für die Übergabe zu sorgen. „Daraufhin wurde für mich ein firmeninterner Workshop organisiert, in dem ich auf meine zukünftige Aufgabe vorbereitet werden sollte.“Lesen Sie weiter: ... oder entspannte Herangehensweise

Die Veranstaltung fand allerdings exakt einmal statt: „Ich bin mir da wie ein Alien vorgekommen. Zum Glück hat das mein Vater gemerkt und die Sache gestoppt. Er hat dann aber immer versucht, mein Interesse an der Firma wachzuhalten, in dem er mich bei Teilprojekten mitarbeiten ließ, um meine Meinung fragte, mich mitnahm.“ Dennoch war es für Annette Klinger lange Zeit nicht eindeutig, ob sie in das Familienunternehmen wirklich einsteigen wird oder nicht.Umso mehr ist sie überzeugt, dass Übergaben nur mit wirklich langfristiger Planung klappen können: „Man sollte sich ganz genau überlegen, wann man Kinder bekommt. Oder noch genauer: Überlegen, wann man in Pension gehen will, und danach die Geburt der Kinder planen.“Anders als Annette Klinger hat Georg Knill für sich nie ernsthaft eine andere Möglichkeit in Erwägung gezogen, als in den Betrieb des Vaters einzusteigen. Was er nicht zuletzt auf die Vorbildwirkung zurückführt. Schließlich sei er quasi in der Firma aufgewachsen: „Ich habe meine Hausübungen sehr oft bei ihm im Büro gemacht. Und ich kann mich noch ganz genau erinnern, wie er mich mit zehn das erste Mal auf eine Geschäftsreise mitgenommen hat, nach Barcelona. Das hat mich schon sehr beeindruckt: im Hotel übernachten, englisch sprechen, Verhandlungen.“ Auf die Art habe er auch recht früh den Eindruck bekommen, was ein Firmenchef eigentlich macht. „Denn es gab bei uns zuhause schon den Witz, dass die Arbeit von meinem Vater darin besteht, am Tisch zu sitzen und Zeitung zu lesen.“ Inzwischen, selbst Vater zweier Töchter, agiert er so, wie er es von seinem Vater mitbekommen hat: Die Siebenjährige war heuer das erste Mal in London mit. Gelassene Zukunftsplanung Weil er es von seinem Vater so mitbekommen hat, sorgt sich Christian Kovac hingegen nicht allzu sehr darum, ob seine Kinder eines Tages das Familienunternehmen, die in der Stahlkomponentenfertigung und Immobilien tätige Grazer Kovac-Group, übernehmen werden. Weil er selbst erst nach rund zehnjähriger Tätigkeit als Rechtsanwalt in das Unternehmen des Vaters eingestiegen ist – so spontan übrigens, dass es zunächst für ihn nicht einmal einen Schreibtisch gab –, sieht er die Nachfolgefrage recht entspannt. „Ich weiß, das entspricht jetzt nicht unbedingt der Lehrbuch-Meinung, aber am Ende kommt es auf die handelnden Personen an. Wenn Vater und Sohn miteinander nicht können, dann kannst du planen, so viel du willst – es wird nicht funktionieren.“Lesen Sie weiter: Erfolgsfaktor „Enthusiastisches Verhältnis zur Macht"

Außerdem könne er bei allem Verständnis dafür, dass man dem Nachwuchs das nötige Rüstzeug verschaffen soll, nicht nachvollziehen, was Kinder auf Geschäftsreisen sollen. „Die sollen sich beim Fußballspielen die Knie aufhauen, vom Apfelbaum fallen oder einen Stern mit dem Mountainbike reißen. Das ist in dem Alter wichtiger.“ Der Kovac-Nachwuchs geht derzeit daher ganz unspektakulär in die Mittelschule.Bloßes Aufwachsen in einem Business-Umfeld sei tatsächlich kein Garant dafür, dass ein Übernehmer später erfolgreich sein wird, bestätigt Sabine Urnik. Die Freude am Job allein auch nicht. „Enthusiastisches Verhältnis zur Macht, die die Übernahme eines Unternehmens mit sich bringt, ist hingegen ein Erfolgsfaktor, während intrinsische Motivation, also eben die bloße Freude an der Tätigkeit, interessanterweise diese Wirkung nicht zeigt.“ Stammesfehden Geht die Übergabe in die dritte Generation, kommen auch noch weitere Faktoren ins Spiel. Denn während in der zweiten Generation strittige Fragen üblicherweise zwischen Geschwistern ausgefochten werden, kommen in der dritten Generation auch Cousins und Cousinen dazu, was schnell in absurden Stammesfehden enden kann. Die Statistik bestätigt es jedenfalls: Während in der zweiten Generation rund fünfzig Prozent der Übergaben glücken, sind es in der dritten Generation nur noch zehn Prozent.Lesen Sie weiter: Gedankenaustausch mit den Familienvertretern

Oft ist in der dritten Generation auch die Zeit gekommen, um das Unternehmen neu zu strukturieren, was nicht immer ohne Einsatz von Fremdkapital geht. So hat der ursprünglich in Familienhand stehende Lichtspezialist Zumtobel 2000 den Private-Equity-Fonds KKR an Bord geholt, um die Übernahme der Thorn Lighting Group finanzieren zu können. Die Familie behielt aber zunächst noch die Anteilsmehrheit. Im Zuge einer Kapitalaufstockung fiel ihr Anteil dann auf rund 35 Prozent. Für CEO Harald Sommerer, der das Unternehmen seit 2010 leitet, ergibt sich dadurch eine spezifische Situation: „Wir sind als Vorstand natürlich allen Aktionären gleichermaßen verpflichtet. Es ist aber auch eine besondere Situation, wenn die Gründerfamilie noch einen großen Anteil am Unternehmen hält. Ich persönlich schätze den Austausch mit den Familienvertretern sehr, insbesondere deshalb, weil sie ein sehr weitreichendes Wissen über den Lichtmarkt und die Beleuchtungstechnik haben.“Während bei Zumtobel die Weichen für die Zukunft gestellt sind, ist der inzwischen 55-jährige Michael Doppelmayr gerade dabei, sie zu stellen. In die Doppelmayr Seilbahnen GmbH, die für das Tagesgeschäft zuständig ist, wurden unlängst zwei neue Geschäftsführer geholt, die als Nachfolger aufgebaut werden sollen. Doppelmayr und Altvorstand Hanno Ulmer wollen sich dann innerhalb der Doppelmayr Holding verstärkt strategischen Aufgaben widmen.Doch obwohl der schon leicht angegraute Junior Michael bereits an seiner eigenen Nachfolge werkt, kann der 90-jährige Senior immer noch nicht von den Fehden der Vergangenheit lassen. Einige Gerichtsverfahren zwischen den beiden sind nach wie vor offen. Auf Nachfragen zum Thema reagiert Unternehmenssprecher Ekkehard Assmann inzwischen allerdings mit fast schon gelangweilter Gelassenheit: „Das sind Familienangelegenheiten, wir kommentieren das nicht, zumal es auch keinerlei Einfluss auf die Tätigkeit des Unternehmens hat.“