Air Cargo : "Bekannter Versender": Luftfracht-Validierung floppt

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Wolfram Senger-Weiss ringt nach Worten. „Letztlich ist es unbegreiflich. Ich weiß auch nicht, wie es zu dieser unglücklichen Lösung kommen konnte“, sagt der Präsident des Zentralverbandes Spedition & Logistik. Was den Mann so ratlos macht: Die Validierung zum Bekannten Versender. Unternehmen, die Ware per Luftfracht versenden und bis 28. April nicht validiert sind, müssen den langwierigeren und vor allem teureren Weg gehen und alle Sendungen einer Kontrolle am Flughafen unterziehen. Ein Beispiel dafür, wie eine von allen Beteiligten begrüßte Idee eine Branche entzweien kann. Dass nämlich nur eine Validierungsstelle in Besitz der begehrten Prüfzulassung ist, kann Senger- Weiss nicht fassen. Seine bittere Erkenntnis: „Wie wenig ernst das Thema seitens des Ministeriums genommen wird.“ Das Ende einer Übergangslösung Der Schock von Nine-Eleven führte auch im Cargo-Bereich zu Veränderungen. Die EU-Verordnung 185/2010 definiert, immerhin ein knappes Jahrzehnt nach der Katastrophe, den „Bekannten Versender“ („known consignor“): So dürfen sich Unternehmen nennen, die hohe Sicherheitsstandards erfüllen und für Frachtgut eine geschlossene Sicherheitskette vom Produzenten bis zur Airline nachweisen können. Und die sich entsprechend validieren lassen. Teil 2: Seltsame Entscheidung des Ministeriums

Der Status des Bekannten Versenders führt zu einer kostengünstigeren und einfacheren Handhabung der Luftfrachtsendungen und ersetzt ab Ende April dieses Jahres eine Übergangslösung, die einem Gentlemen’s Agreement nahekommt: Die Luftfracht-Speditionen selbst definierten gewisse Kunden als Bekannte Versender und standen somit gegenüber den Behörden für die Einhaltung der Sicherheitsstandards durch diese Unternehmen gerade. Damit ist ab dem 28. 4. Schluss. Unternehmen, die bis dahin nicht validiert sind, müssen den langwierigeren und vor allem teureren Weg gehen und alle Sendungen einer Kontrolle am Flughafen unterziehen. Für Unternehmen mit geringem Exportvolumen kein Problem, für alle anderen eine massive Veränderung. Die Regelung wäre auf allgemeine Zustimmung gestoßen – hätte nicht das bmvit im Juni 2011 eine Entscheidung getroffen, die bis heute niemand nachvollziehen kann: Als einzige Zertifizierungsstelle wurde die Sequrity GmbH in Bergheim benannt, eine 100-Prozent- Tochter der Augustin Quehenberger Group. Kampf gegen das Monopol Der Aufschrei der Branche war vernehmlich, und die Aufregung hat sich bis heute nicht gelegt. Dabei waren es nicht einzelne Speditionen, die auf die Barrikaden gingen, sondern mit dem WKO-Fachverband Spedition & Logistik sowie dem Zentralverband die beiden entscheidenden Branchenvertretungen. Fachverbandsobmann Walter Mönichweger betont gegenüber dem INDUSTRIEMAGAZIN, dass es nie darum ging, gegen einen bestimmten Anbieter vorzugehen: „Unser Anliegen ist nicht, jemanden zu verdrängen. Wir wollten von Beginn an nur erreichen, dass auch andere, unabhängige Validierungsstellen zugelassen werden. In diesem Bereich darf es einfach kein Monopol geben.“ Impliziter Vorwurf: Wer ein Unternehmen zertifiziert, erhält nolens volens tiefe Einblicke etwa über Sendungsaufkommen oder die für den Versand zuständigen Schlüsselpersonen. Angesichts der Eigentumsverhältnisse durchaus pikant. Teil 3: Wer schützt die Industrie vor "Informationstransfer"?

Sequrity-Geschäftsführer Wilhelm Schicho bezeichnet das Argument, sein Unternehmen erhalte Insiderinformationen über Kunden des Mitbewerbs, als „absolut unnachvollziehbar“: „Wir überprüfen ausschließlich den Stand der Sicherheit, alles andere erfahren wir nicht, und es interessiert uns auch nicht. Wir stellen etwa keinerlei Fragen zu Speditionen oder zu Transportpreisen. Und es gibt selbstverständlich auch keinerlei Informationstransfer zwischen Sequrity und der Quehenberger-Gruppe. Dass wir den gleichen Eigentümer haben, ist doch kein ernsthaftes Argument!“ Die Diskussion wäre nie entstanden, hätte man sich an bestehenden Vorbildern orientiert. „Die beste Lösung wäre wohl gewesen, die Validierung direkt dem Verkehrsministerium zu unterstellen“, meint Philipp Coloseus, Luftfrachtexperte bei Schenker Österreich. „In Deutschland etwa ist die Luftfahrtbehörde dafür verantwortlich, und damit können alle hervorragend leben.“ In Kafkas Schloss Das bmvit entschied anders, und WKO und Zentralverband versuchten von Beginn an, die Entscheidung des Ministeriums juristisch zu knacken: Bei der EU wurde Beschwerde eingereicht. Mit wenig Erfolg. „Wir waren mehrmals in Brüssel bei verschiedenen Stellen, aber der Ball wurde immer wieder zurückgespielt“, erzählt Walter Mönichweger. „Wir sprachen auch mit EU-Vertreter Othmar Karas in Wien – und alle, die wir in der Sache kontaktierten, zeigten durchaus Verständnis für unser Anliegen.“ Letztlich habe sich aber niemand für zuständig erklärt. „Wir haben uns gefühlt wie im ,Schloss‘ von Kafka: Kaum ist man durch eine Türe gegangen, steht man wieder da, wo man gestartet ist.“ Im November stellte die Kommission das Verfahren ein. Wilhelm Schichos Einschätzung, dass die Causa damit zumindest juristisch beendet sei, teilen die meisten. ZV-Präsident Senger-Weiss: „Wir müssen wohl anerkennen, dass die Fakten nicht mehr zu ändern sind. Auch ist es bereits deutlich zu spät, vor dem 28. April noch eine Korrektur herbeizuführen – vorausgesetzt, dass dieses Datum überhaupt hält.“ Teil 3: Wer sich bisher validieren ließ

Wie sich der unnötige Disput auf die Kunden auswirkt, könnte man am ehesten an der Zahl der Validierungen ablesen – Schätzungen gehen davon aus, dass mehrere tausend Unternehmen daran zumindest interessiert sein müssten. Die Zahl jedoch scheint ein Staatsgeheimnis zu sein. Aus dem bmvit kommt dazu ein klares „no comment“. Sequrity-Chef Schicho bleibt ebenfalls vage: „Genaue Zahlen können wir aus Datenschutzgründen nicht bekannt geben.“ Die Validierungen seien jedenfalls derzeit voll im Gange, der Andrang sei groß. „Die Anträge kommen aus allen Branchen und reichen von KMUs bis hin zu großen Konzernen. Wir schätzen, dass bis Mitte des Jahres 2013 rund 60 bis 70 Prozent des Luftfrachtaufkommens über Bekannte Versender abgewickelt werden sollten.“Beratungsaufgabe nicht erfüllt? Dass viele der Einreichungen sehr spät eintrudelten, schreibt Schicho auch der Beschwerde des Fachverbandes zu: „Ich habe von mehreren Unternehmen die Klage gehört, dass einige Spediteure ihrer Beratungsaufgabe nicht nachgekommen sind. Natürlich ist auch das ein Grund dafür, dass viele Einreichungen so spät erfolgt sind.“ Die EU-Beschwerde sei so gesehen „ein Schuss nach hinten“ gewesen: „Viele Unternehmen waren offenbar verunsichert und haben mit ihrem Antrag einfach zu lange gewartet. Das hat definitiv der österreichischen Industrie im Ganzen geschadet.“ Der Zentralverband argumentiert ähnlich – wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen: „Ich kenne natürlich keine genauen Zahlen“, sagt Wolfram Senger-Weiss, „doch der aktuelle Stand der Validierungen soll sehr niedrig sein. Das liegt einerseits wohl daran, dass Sequrity ein kleines Unternehmen ist, das hinsichtlich seiner Kapazität gar nicht in der Lage sein kann, all die anstehenden Validierungen durchzuführen – immerhin geht es hier um mehrere tausend potenzielle Interessenten. Andererseits glaube ich, dass dieses Unternehmen offenbar von vielen nicht als unabhängiger Anbieter wahrgenommen wird.“ Teil 4: Was tun die Speditionen?

Eisernes Schweigen herrscht auch bei den Unternehmen, die es eigentlich betrifft. Kein einziger Versender von Luftfracht wollte sich gegenüber dem INDUSTRIEMAGAZIN dazu äußern, ob er die Validierung absolviert oder nicht. Dritter Weg Was auch daran liegen mag, dass sich derzeit eine dritte Option neben Validierung und Kontrolle über den Flughafen auftut: Übernimmt eine Spedition die Durchleuchtung des Frachtguts, so kann sie diese Leistung ihren – nicht validierten – Kunden mitunter günstiger Anbieten als die Flughäfen. „Für die Speditionen ist es in der derzeitigen Lage schwierig abzuschätzen, ob sie eine solche Scanning-Anlage kaufen sollen“, sagt Philipp Coloseus. Schenker ist sich diesbezüglich sicher und investierte rund eine Viertelmillion Euro in eine Anlage am Standort Wien. „Ab diesem März sind wir bereit“, sagt Coloseus. Schaden angerichtet Verärgerte Spediteure, gegenseitige Unterstellungen und vor allem verunsicherte Kunden – in einem Punkt sind sich Wilhelm Schicho und Wolfram Senger-Weiss einig: Der Schaden, der hier bereits entstanden ist, geht zulasten der Wirtschaft. „Dies alles ist letztlich kein Thema der Spediteure“, sagt Senger-Weiss. „Das Ergebnis ist eine Benachteiligung des Industriestandortes Österreich im Vergleich zum benachbarten Ausland. EU-Vorgaben werden ungenügend und zum Nachteil Österreichs umgesetzt.“Drei Wege zum sicheren Versand Unternehmen, die Luftfracht versenden, haben prinzipiell drei Möglichkeiten, die Sicherheit der Ladung nachzuweisen.- Validierung zum „Bekannten Versender“: Diese ist nach der Entscheidung des Bundesministeriums in Österreich ausschließlich über die Sequrity Sicherheitstechnisches Zentrum GmbH in Bergheim bei Salzburg möglich (www.sequrity.at). Sequrity gibt die Bearbeitungszeit auf Zulassung zum Bekannten Versender mit rund sechs Monaten an. Die Zertifizierung selbst kostet ab etwa 2.500 Euro, hinzu kommen unternehmensinterne Kosten etwa für Schulungen, Schichtumstellungen etc.- Keine Validierung: Vor allem Unternehmen mit geringem Exportvolumen werden wohl weiterhin jede einzelne Sendung am Flughafen selbst überprüfen lassen.- Sendungsüberprüfung durch den Spediteur („Reglementierter Beauftragter“): Mehrere Speditionen überlegen derzeit, eine eigene Anlage zu installieren – Schenker Österreich ist hier im Februar mit einer entsprechenden Einrichtung vorgeprescht.