Arbeitsplätze : Autoindustrie: Wegen Elektroautos ist fast jeder fünfte Job in Gefahr

Die neuen Abgasziele der Europäischen Union führen nach Einschätzung der IG Metall in Deutschland zu erheblichen Jobverlusten und unabsehbaren sozialen Folgen. Um den von 2030 an geltenden CO2-Grenzwert für Autos in Europa einzuhalten, sei nach seiner Einschätzung eine Quote von fast 50 Prozent Elektrofahrzeugen in Deutschland bei den Neuzulassungen notwendig.

Elektromotoren sind viel simpler zu bauen

Das sagte der Erste Vorsitzende der Gewerkschaft, Jörg Hofmann, der Deutschen Presse-Agentur. Wegen der geringeren Fertigungstiefe im Vergleich zu Verbrennungsmotoren sei nahezu jeder fünfte Job in der deutschen Leitindustrie in Gefahr.

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Zulieferer wären noch härter betroffen als Hersteller selbst

"Wir rechnen ungefähr mit 200.000 Arbeitsplätzen, die in Folge der Elektromobilität nicht mehr in der Branche zur Verfügung stehen. Das trifft bestimmte Regionen extrem hart", sagte der Gewerkschaftschef. Das seien beispielsweise das Saarland, Emden oder ländliche Regionen, in denen Zulieferer häufig die einzigen industriellen Arbeitgeber seien. Diese würden noch härter getroffen als die Markenhersteller selbst. Dagegen gäbe es gerade 30.000 bis 40.000 neue Jobs für Komponenten der Elektromobilität, wenn diese denn in Deutschland gefertigt würden.

Die Konzerne steuerten jetzt um und müssten voraussichtlich noch radikaler vorgehen als bisher etwa bei VW angekündigt, sagte Hofmann. Bei dem Autobauer könnten beim Hochfahren der Stromer-Produktion an den Standorten Emden und Hannover insgesamt bis zu 7.000 Stellen wegfallen.

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Gleichzeitig sei die notwendige Strom-Infrastruktur ebenso ungeklärt wie die Frage, ob die Kunden tatsächlich bereit seien, Elektrofahrzeuge zu den dann geltenden Bedingungen zu kaufen, sagte Hofmann. Aktuell steige beispielsweise der Preis für Batterien dramatisch.

Die Entscheidungen über den Abbau von Arbeitsplätzen würden jetzt getroffen, warnte Hofmann. Falls es mit der Elektromobilität nicht klappe, kehrten die Jobs sicher nicht zurück. "Es soll keiner glauben, dass man in Deutschland noch einmal zurück investiert in klassische Verbrennertechnologie. Die Arbeitsplätze sind auf Dauer verloren. Es wird Vabanque gespielt mit einem komplett offenen Ausgang."

"Politik hat sich zu wenig Gedanken über soziale Folgen gemacht"

Hofmann setzt sich für eine Überprüfung der Klimavorgaben spätestens bei dem für 2024 vorgesehenen Zwischenziel ein. "Leider hat sich die Politik jetzt viele Gedanken über Zielwerte gemacht und wenig über die sozialen Folgen." Es sei seiner Meinung auch nicht mehr möglich, den Jobabbau allein über die demografischen Abgänge in den Belegschaften abzufedern.

Er sehe die Unternehmen in der Verantwortung, ihre Leute für neue Tätigkeiten zu qualifizieren, erklärte Hofmann. Zusätzlich sei ein neuartiges Transformations-Kurzarbeitergeld notwendig, das bis zu 36 Monate lang an Umschüler gezahlt werden könne. Diese Leistung sollte von den Unternehmen und der Bundesagentur für Arbeit finanziert werden. In diesem Fall wären die Beschäftigten mit einem Abschlag von ihrem bisherigen Gehalt als Eigenanteil betroffen. Ziel sei es, dies über tarifliche Zusatzleistungen abzufedern.

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Ökonomische Grunddaten der Branche positiv

Kurzfristig sieht der IG-Metall-Chef keine größeren konjunkturellen Probleme auf die deutsche Metall- und Elektroindustrie zukommen. Die ökonomischen Grunddaten seien alle positiv gestellt, es gebe aber erhebliche externe Risiken wie den Brexit, den Handelskonflikt zwischen USA und China oder die Unsicherheiten um die Stabilität der Europäischen Union.

In der Metall- und Elektroindustrie mit rund 3,9 Millionen Beschäftigten stehen im kommenden Jahr wegen des lang laufenden Vertrags keine Kollektivvertrags-Verhandlungen an. Aktuell streitet die IG Metall aber für die Beschäftigten der Branchen Textil und Stahl über Gehälter und Arbeitsbedingungen. Hofmann kündigte an, in den kommenden Jahren weitere zeitliche Freiräume für die Beschäftigten schaffen zu wollen. "Wir überlegen: Wie kann man diesen Weg weitergehen, um solche Wahloptionen zu schaffen. Grundsätzlich werden Tarifverträge künftig den Einzelnen mehr Wahlmöglichkeiten zur Arbeitszeit eröffnen." (dpa/apa/red)