Marktbeobachtung : Autobranche rüstet sich für einen drastischen technologischen Wandel

In den nächsten fünf Jahren wird sich die Autoindustrie mehr verändern als in den vergangenen 50, erwartet ein Top-Manager des US-Branchenriesen General Motors. Und er wird sich über das Gewicht dieser Worte voll im Klaren sein. Dan Ammann, der für die Opel-Mutter das weltweite Geschäft führt, geht davon aus, dass manche Kunden kein Auto mehr besitzen, sondern nur bei Bedarf nutzen wollen.

Vor Ammanns Feststellungen in zahllosen Interviews mit US-Medien gab GM einen Deal bekannt, der später vielleicht als ein Meilenstein der Autogeschichte gelten wird. Wenn so ein Schwergewicht 500 Mio. Dollar (458,8 Mio. Euro) in einen Fahrdienst steckt und mit ihm eine Flotte selbstfahrender Taxi aufbauen will, hallt das in der gesamten Branche nach.

"Das zeigt, dass die Autoindustrie verstanden hat, dass sich das Geschäftsmodell ändern wird", sagt zu dem Deal zwischen GM und dem Uber-Rivalen Lyft der Autoexperte des IT-Marktforschers Gartner, Thilo Koslowski. Es werde noch mehr solcher Ankündigungen geben, betonte der Analyst auf der Technik-Messe CES in Las Vegas.

Die Autofirmen seien dabei, sich ein Portfolio aus verschiedenen Optionen aufzubauen - weil niemand wisse, was genau passieren werde. Viele versuchen gerade, Elektromobilität reif für den Massenmarkt zu machen - so hat GM in Las Vegas ein neues Elektroauto vorgestellt, das mit einem deutlich geringeren Preis deutlich größere Kundenschichten ansprechen will als die bisher im Markt befindlichen Angebote.

Brechen durch weniger Autokäufe Erlöse weg, geht es ans Eingemachte: "Das wird einigen das Genick brechen in der Autoindustrie", ist sich der im Silicon Valley lebende Koslowski sicher.

Auslöser für den Umbruch sind selbstfahrende Autos und die Vernetzung, mit der neue Mobilitätsdienste möglich werden. GM gehe davon aus, dass Roboterwagen nicht zum Kauf, sondern in solchen Diensten wie Lyft auf Abruf angeboten werden, sagt Manager Ammann. Zugleich erwarte er für GM keine erheblichen Einbußen, weil der Konzern in den USA den Großteil seiner Fahrzeuge außerhalb der Städte verkaufe, zum Beispiel als Pickups. Bei europäischen Herstellern würde diese Rechnung anders aussehen.

Mit dem selbstfahrenden Auto ist es vorbei mit der Freiheit

Die größte Veränderung sei aber psychologischer Natur, sagt der Gartner-Experte. Sind die Menschen zum Beispiel bereit, immer nach den Geschwindigkeitsbegrenzungen zu fahren? "Denn das selbstfahrende Auto wird immer alle Regeln befolgen. Die Wahrnehmung des Autos wird nicht mehr dieselbe sein." Zum Beispiel dieses Gefühl der Freiheit, das so lange zum Mythos Auto gehörte. Insbesondere Autohersteller, die das Fahrerlebnis in den Vordergrund stellen, müssten sich dann neu erfinden. "Das heißt nicht, dass dann alles vorbei ist, aber die Dinge werden sich ändern."

Auf der CES wird deutlich, dass in Vorbereitung auf die Zukunft jeder alles Mögliche ausprobiert. Volvo bereitet schon mal alles dafür vor, den Passagieren in einem selbstfahrenden Auto Filme und Serien des Streaming-Dienstes Netflix zu zeigen. Damit die Videos aus dem Netz auch ankommen, kooperiert der Autobauer mit dem ebenfalls in Schweden beheimateten Netzwerk-Ausrüster Ericsson. Die Länge des Videoprogramms soll an die Fahrtdauer angepasst werden.

Ford lässt seinen populären Pick-up-Truck F-150 per Software mit Drohnen verbinden. Die Idee ist, dass Landwirte, Bauarbeiter, Brücken-Inspektoren oder Krisenhelfer die Fluggeräte direkt über den Bildschirm im Cockpit steuern können. Außerdem bahnt sich eine Partnerschaft mit dem Online-Händler Amazon an. Ford testet die Integration mit Amazons Smarthome-Assistenten Alexa. Über die Verbindung könnten zum Beispiel per Sprachbefehl aus dem Auto heraus Hausgeräte eingeschaltet oder Garagentore geöffnet werden.

Dass nicht nur Apple oder Google den Platzhirschen gefährlich werden könnten, zeigt bei der CES der Neuling Faraday Future. In 18 Monaten schraubte die von einem chinesischen Milliardär finanzierte Firma einen Super-Sportwagen mit Elektroantrieb zusammen. "Man braucht keine 100-jährige Tradition, um zu definieren, wie die nächste Generation der Mobilität aussieht", gab sich Top-Manager Nick Sampson auch noch betont forsch bei der Präsentation in Las Vegas.

(von Andrej Sokolow/dpa/APA)