Produzieren und Entwickeln : Auftragsforschung im Formhoch

Es begann buchstäblich mit einem Beinbruch. Und mündete in einem der spektakulärsten Start-ups der letzten Jahre. Als Rudolf Stonawski im Krankenhaus zusah, wie ihm ein Gips ans Bein angepasst wurde, begann er darüber nachzudenken, ob das alles nicht effizienter geschehen könnte. Gemeinsam mit Freunden entwickelte er eine Idee, die 2013 zur Gründung von „Clever Contour“ führte: großflächige Freiformen – also auch Orthesen für gebrochene Beine – so herzustellen, dass der User sowohl in Software als auch in Fertigung eingreifen kann. Individualisierbar, kostengünstig – und vor allem ohne Formenbau.

Clever Contour entwickelte eine Software, die ein Konstrukt von Linien als Mediane von Kunststoffsträngen über digitale Körper legt. Anhand der Daten werden die Kunststoffteile mittels einer ebenfalls selbst entwickelten Biegemaschine bearbeitet und zu einer nach Laminierung vollkommen glatten Oberfläche zusammengesetzt. Das Unternehmen hält derzeit zwei Patente auf die 3D-Biegemaschinen und auf die Biegetechnologie selbst. "Wir sind als Einzige weltweit in der Lage, Kunststoff-Halbzeuge zu biegen, das kann sonst niemand in dieser Form", sagt Rudolf Stonawski. "Und wir bemerkten sehr schnell, dass das Thema Freiformen in vielen anderen Bereichen auftaucht, etwa in der Architektur." Der Erfolg verdankt sich intensiver Kooperation mit dem Zentrum für angewandte Technologie Leoben und dem Institut für Fertigungstechnik der TU Wien. Und natürlich einer Reihe von Förderungen.

Mehr Aufträge, mehr Druck

In Österreich wird derzeit geforscht, entwickelt – und gefördert – wie noch nie. Laut Schätzung der Statistik Austria dürften im Jahr 2015 rund 10,1 Milliarden Euro in Forschung und experimentelle Entwicklung fließen. Das wäre ein Plus von 2,8 Prozent gegenüber 2014 und entspräche gut drei Prozent des BIP.

Die Forschungsförderungsgesellschaft FFG schüttet Jahr für Jahr mehr Geld aus, die Zahl der Start-ups steigt kontinuierlich, ebenso die Zahl der Beschäftigten im österreichischen F&E-Bereich. Wolfgang Pribyl, der Geschäftsführer von Joanneum Research, freut sich über ein Gesamtvolumen von rund 15 Millionen Euro in der nationalen und internationalen Auftragsforschung im kürzlich abgelaufenen Geschäftsjahr. "Es zeigt sich, dass sich hohe wissenschaftliche Qualität in der Forschung, die auch in hochkarätigen Publikationen in Fachmedien und auf wissenschaftlichen Tagungen sichtbar wird, in der Auftragslage niederschlägt." Wolfgang Pribyl beobachtet aber auch, dass die Szene definitiv härter wird. Vor allem in den Bereichen Kompetenz, Kosten, Zeitpläne und Erwartungshaltungen sei der Wettbewerb besonders hoch. Das zwinge die Auftragsforscher, in immer kürzeren Zyklen in Forschungsinfrastruktur, aber auch in Aus- und Weiterbildungen der Mitarbeiter zu investieren. Ein Druck, den man auch in Linz ganz ähnlich beschreibt. Das Linz Center of Mechatronics LCM dürfte heuer ein zehnprozentiges Umsatzplus schaffen.

Getrieben vor allem von den Themen Industrie 4.0, digitale Produktion und Energieeffizienz, kamen im vergangenen Jahr Einzelprojekte mit signifikant steigenden Volumina ins Haus – Managing Director Gerald Schatz musste sich dafür allerdings auch mehr ins Zeug legen denn je: "Der Wettbewerb im Forschungsbereich hat sich deutlich verschärft."

"Langfristige F&E-Partner"

Blendend läuft es derzeit auch beim mitten im steirischen Autocluster gelegenen Virtual Vehicle. Zehn Prozent Umsatzsteigerung dürften es heuer werden (nach 30 Prozent im Vorjahr) und auch Jost Bernasch, der Geschäftsführer des "Virtuellen Prüfstands", sieht ein tendenzielles Ansteigen der Auftragswerte der einzelnen Kooperationen. "Wir bemerken auch einen deutlichen Zuwachs bei Beauftragungen in für den jeweiligen Kunden strategischen Themenbereichen", freut sich Bernasch. Wie beim Linzer LCM verspürt man auch in Graz, dass die eigene Tätigkeit und deren Qualität auch auf europäischer Ebene immer stärker wahrgenommen wird. Laut LCM-Chef Gerald Schatz steigt auch die Zahl der Folgeaufträge aus gemeinsamen Projekten: "Das bedeutet, die Qualität der Entwicklungspartnerschaft ist so gut, dass wir zum langfristigen F&E-Partner vieler unserer Kunden geworden sind."

Finanzierungslücke

Während die bereits etablierten Zentren sich also mit der Entwicklung zufrieden zeigen, entsteht permanent Neues. Erst vor wenigen Tagen gab etwa Greiner Packaging die Gründung einer Forschungskooperation mit der Linzer Johannes Kepler Universität und dem Forschungszentrum Recendt bekannt. Gemeinsam wird man an neuartigen Barriere-Kunststoffverpackungen arbeiten, Verpackungen also, die den Inhalt von Umwelteinflüssen abschirmen. Hinzu kommt eine blühende Gründerszene: 2014 wurden in Österreich laut Wirtschafskammer 37.054 Firmen gegründet – womit sich dieser Wert kontinuierlich den gut 40.000 von 2008 annähert.

Und dass Start-ups ordentlich gefördert werden, bestätigt auch Rudolf Stonawski von Clever Contour, ortet aber auch ein Problem: "Es gibt eine ganze Reihe an guten Förderungen, die FFG unterstützt kompetent. Ich sehe allerdings, dass es eine Lücke in der Anschlussfinanzierung gibt." Dieses Problem tauche vor allem auf, wenn in einem Unternehmen Marktbearbeitung und Forschung & Entwicklung parallel erfolgen. In Österreich, sagt Stonawski, gebe es eine Investoren-Landschaft für Start-ups und eine für Unternehmen mit Umsätzen – dazwischen könne es aber eng werden. "Wenn man dann einen Investor findet, kann es aber auch sein dass es Beschränkungen gibt – der Investor muss z. B. Mitglied einer Organisation wie AVCO oder EVCA sein, um zusätzliche Förderung zu bekommen. Im Bereich der Anschlussfinanzierung gibt es aber im Grunde keine Investoren."

Diese Finanzierungslücke werde häufig nicht bemerkt, weil sie – auch medial – von Start-ups überlagert würde, die sofort Geld machen. "Das mag in Bereichen wie der Software manchmal auch zutreffen, aber etwa im Maschinenbau sieht das schon ganz anders aus."

Im Oktober feiert das Institut "Industrial Management" der FH Joanneum 20 Jahre seines Bestehens. Zeit, Bilanz zu ziehen: Vordere Plätze in namhaften Hochschulrankings, darunter auch des INDUSTRIEMAGAZIN.

Eine führende Position als Ausbildungsstelle von Spezialisten für ERP-Systeme, Service Engineering, Logistik und Industrie 4.0. Über 340 bereits abgeschlossene Projekte. Und vor allem Absolventen, die bei Unternehmen aus der Produktionstechnik über die Automatisierung bis zur IT gefragt sind. Als Gastredner der Feier referiert Siegfried Gänßlen, ehemaliger Konzernchef des deutschen Herstellers Hansgrohe, zur Zukunft der Arbeit in der Industrie.

Genau darum geht es auch in dem Konzept, das den Studiengängen in Kapfenberg zugrunde liegt: Mit einer guten Ausbildung fit zu sein für den rasanten Wandel der Industrie. Deshalb behandelt das Institut, anders als üblich, technische und wirtschaftliche Disziplinen gleich stark. Dazu erklärt Institutsleiter Martin Tschandl: "Es sind Jobs zwischen den Stühlen, die wichtig sind für die Unternehmen, denn sie verbinden die häufig gegenseitig unverstandenen Welten der Technik und Wirtschaft." Es gehe also gerade um die Schnittstellen zwischen der industriellen Produktion, etwa im Maschinenbau, der Elektrotechnik, der Automatisierung, der Softwarearchitektur – und den Fragen der Betriebswirtschaft.

International

Zweitens nehme die Internationalität eine zentrale Rolle ein, sagt Tschandl und verweist auf Kooperationen mit Partnern von Südkorea über Europa bis Mexiko. Für die Studierenden ist neben Englisch eine zweite Fremdsprache obligatorisch. Oft entscheiden sie sich für Spanisch, aber seit vielen Jahren auch für Russisch oder Chinesisch. Knapp 70 Prozent gehen während des Studiums ins Ausland. Umgekehrt bringt auch das Institut die weite Welt des Managements nach Kapfenberg: Im Audimax referieren laufend Spitzenmanager aus Industrie und Consulting, zuletzt Stefan Pierer von KTM, Jochen Pildner-Steinburg von GAW oder Josef Hackl von Wild.

Drittens sind auch Projekte der Auftragsforschung in den Industriebetrieben verpflichtend – ein Konzept übrigens, das die Kapfenberger mit der US-Eliteuni MIT gemeinsam haben. Die Projekte gehen über die üblichen Studentenpraktika weit hinaus, denn eine ganze Reihe renommierter heimischer Industriefirmen ist bereit, dafür zu zahlen – und erwartet sich einen entsprechenden Mehrwert. Dazu gehören etwa AVL, Magna, Plansee, RHI oder Voestalpine. (Peter Martens)