Automobilzulieferer : Alte Marken, neue Märkte

Fill
© Helene Waldner

Die Zahlen sind besorgniserregend: Mehr als ein Drittel von 220 befragten Unternehmerin der Zulieferbranche musste 2009 Umsatzeinbrüche von mehr als einem Drittel hinnehmen, wie der „Global Automotive Barometer“ von A.T. Kearney erhoben hat. Und Rettung ist nicht in Sicht: Frühestens 2014 könnte die Rückkehr auf das Absatzniveau von 2007 glücken, so der Konsens der Experten. Viele Automobilzulieferer haben jetzt die Konsequenzen gezogen. „Der Trend zur Diversifizierung ist ganz klar da, das zeigen uns die vielen Gespräche mit Geschäftsführern“, erzählt Thomas Eder, Chef beim Oberösterreichischen Automobilcluster. Der Branchen-Radar, eine hauseigene Online-Umfrage, stützt Eders These: Immerhin 25 Prozent der befragten Automobilzulieferer sehen den Schwerpunkt Ihrer Geschäftsfelder bis 2015 im Bereich „Energie“, 19 Prozent im Bereich „Umwelttechnik“ – nur 28 Prozent der befragten Automobilzulieferer wollen dem Markt treu bleiben. Doch wie schaffen es Automobilzuieferbetriebe ihren Aktionsradius zu erweitern? Und wie verhindern Branchenneulinge auf ungewohntem Parkett, sich bis aufs Hemd zu blamieren? INDUSTRIEMAGAZIN portraitiert vier Unternehmer – mit überraschenden Ansätzen auf ihrem Weg aus der Krise.

Dass die Automobilstudien im Spätherbst 2008 immer noch auf massives Wachstum ausgerichtet waren, rang Thomas Bründl, Geschäftsführer bei Starlim Spritzguss GmbH, schon damals ein Kopfschütteln ab. Schon Ende 2005 beschließt er, sich gegen Schwankungen im Automobilsektor zu wappnen. Langsam, so die Strategie, soll sich das Unernehmen ins Segment „Life Science“ vortasten. Audit für Audit, Zertifizierung für Zertifizierung. Und doch war auch Bründl von der Schwere des Einbruchs überrascht. „Wir schätzten die Lagerbestände unserer Kunden auf vier Wochen ein und es wurden fünf Monate daraus“, sagt Bründl. Worauf man in Marchtrenk stolz war – den Umsatzanteil im Automotivesektor Anfang 2008 auf 50 Prozent gedrückt zu haben – gewann eine Eigendynamik: Mitte 2009 wird nur noch vierzig Prozent des Umsatzes von den Automobilherstellern getragen. Dass viele seiner Kollegen jetzt ebenfalls den Absprung aus der Branche planen, kann Bründl nachvollziehen – Chancen gibt er den Bemühungen jedoch kaum. „In sechs Monaten richtet man in unserem Bereich gar nichts aus. Weder im Silicon- noch Thermoplastbereich lassen sich so schnell neue Märkte erschliessen“.„Zu sagen, morgen produziere ich Medizintechnik – das kommt in etwa dem Beschluss gleich, ab morgen Brot zu backen“, meint auch Wilfried Sihn, Geschäftsführer von Fraunhofer Austria. „Heute Kotflügel zu bauen, morgen aber Kanülen, wird schwierig“, meint auch der deutsche Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer. „Es ist ja nicht so, dass etablierte Firmen kampffrei das Feld räumen“, meint auch Starlim-Chef Bründl. Ohne Zertifikate (etwa ISO 13485) falle man schon in den Voraudits durch. Geduldig lässt man in Marchtrenk deshalb Personalstrukturen in Entwicklung und Vertrieb entstehen, die 18-monatigen Entscheidungsprozesse großer Spieler wie Fresenius oder Mann nimmt man sportlich. Zum Zeitpunkt des Crashs wird Geschäftsführer Bründl dafür reich belohnt: „Wir hatten das Glück des Tüchtigen“. Unmittelbar bei Ausbruch der Krise waren sämtliche Freigabeprozedere durchlaufen und die Produktion von Babyschnullern, Spritzenkolben und Dichtungen für Beatmungsmasken konnte anlaufen. Bründl: „Wir mussten einfach nur den Schalter umlegen.“

Beim oberösterreichischen Sondermaschinenbauer Fill in Gurten blickte man dem Gespenst des Auslastungslochs lange vor Ausbruch der Krise tief ins Auge. Bereits 2005 wirft Geschäftsführer und Eigentümer Andreas Fill im jährlichen Führungskräfte-Workshop heiße Fragen auf: Was tun, wenn der überhitzte Automobilmarkt einbricht? Wie können Täler überpuffert werden? „Wir spielten mehrere Szenarien durch und kamen zum Schluss, uns unbedingt breiter aufstellen zu müssen“, erzählt Fill rückblickend. In Spitzenzeiten beträgt der Umsatzanteil Automotive im Unternehmen 85 Prozent, „wir wollten gegensteuern und den Anteil auf 50, 60 Prozent reduzieren“. Aus den guten Vorsätzen wird vorerst nichts – denn die Auftragsbücher quellen über. Mitte 2008 macht Fill eine Beobachtung, die ihn beunruhigt: „Die Entscheidungsprozesse unserer Kunden begannen, sich in die Länge zu ziehen, Anfragen im Automotive-Bereich wurden plötzlich weniger konkret“, meint Fill. Jetzt, so überlegt Fill, sei wohl die Stunde gekommen, sich aus dem Abhängigkeitsverhältnis der Automobilproduktion zu lösen. Am Standort Gurten, in dessen Ausbau satte zwanzig Millionen Euro flossen, wird das 2008 fertiggestellte Innovationszentrum zum Mittelpunkt für Hausmessen und Werksbesuche auserkoren. „In der Krise sind Ortstermine wichtig“, sagt Fill. Die Zündkraft ist enorm: So wurde beim Besichtigen einer Kunststoffpresse für großflächige Fahrzeug-Imstrumententafeln das Interesse eines Kunden aus der Holzindustrie geweckt – „und das, obwohl wir jahrzehntelang keine Pressen in dieser Branche verkauft haben“, erzählt Fill. Andere wollen eine Maschine kaufen und „gehen mit einer ganzen Anlage nach Hause“, so Fill. Eine Shuttle-Bandsäge, ursprünglich entwickelt für den Holzbearbeitungsbereich, weckte indes Begehrlichkeiten in der Windkraftindustrie. Fill: „Hat man mit einem Schlüsselprodukt erst einmal den Fuß in der Tür, ergeben sich bei Firmenbesuchen beinahe von allein neue Chancen“. Ein großer Liefervertrag für Prüfsysteme für die Luftfahrtindustrie steht ebenfalls vor dem Abschluss. Hat sich der Prestigeauftrag erst einmal herumgesprochen, „könnten sich auch hier Tür und Tor für weitere Prüfprojekte öffnen“, so der Manager. Und bescheren die neuen Projekte dem Familienbetrieb auch nicht Jahrzehnte steiles Wachstum: „Sie tragen soweit zum Umsatz bei, dass sie den Einbruch im Automobilbereich weitgehend egalisieren. Und wir lernen dazu“.

Wehmut schwingt schon mit, wenn man HTI-Vorstand Peter Glatzmeier auf die Vorgänge der Jahre 2008 und 2009 anspricht: „Glück für den, der es überlebt hat“, sagt der Manager heute. Und meint wohl auch sein eigenes Unternehmen, das es nur dank eines großangelegten Forderungsverzichtes von Grossbanken und einer Barkapitalerhöhung der Kernaktionäre eschafft hat. 2008 brechen im Segment Automotive dramatisch die Aufträge weg. Im Bereich Kunststoffverarbeitung und im Leichtbau muss Glatzmeier ein Umsatzminus von minus 50 Prozent verkraften. Doch damit nicht genug: Die Krise schlägt zu einem Zeitpunkt zu, als der 2006 gegründete Konzern, die vormalige HTP, inmitten der Akquise steckt: „Der Kauf der Firmen Theysohn und Technoplast lief damals gerade auf Hochtouren“, sagt Glatzmeier. 2009 kommt es ganz dick: Der Konzern entgeht nur knapp der Insolvenz. „Heute sind wir froh darüber, zugekauft zu haben“, meint Glatzmeier. Auch weil er mit der riskanten Akquisition die Abhängigkeit zum Automobilzulieferbereich reduziert hat. „Wir wollen uns in diesem Segment von rund 80 Prozent (2007) auf 40 Prozent (2010) verkleinern, und das schaffen wir nur durch Zukäufe“, sagt der Manager, der 2012 wieder moderates Wachstum sehen will. Die Medizintechnik ist ein Hoffnungsmarkt, der bis Mitte des Jahres dann auch weiter erschlossen werden soll: „Wir haben unseren Verkauf verstärkt, von zwei auf nunmehr sechs Mitarbeiter. Die verkaufen mittlerweile Kunststoffteile für Babyfläschchen und Schnuller – und das erfolgreich. Auch im Geschäft mit Extrusionsanlagen will man kräftig mitmischen: Im Januar angelte man sich zwei Großaufträge aus China und Russland im Gesamtwert von rund 9 Millionen Euro. Theysohn wird unter anderem Extrusionsanlagen zur Erzeugung von PVC-Fensterprofilen liefern. Das Prestigeprojekt bei Chinas größtem Fensterprofilhersteller wird Wirkung entfalten – nicht nur, weil die beiden Aufträge „zu einem Gutteil“ die Auslastung für 2010 sichern: „Die Referenzanlage wird Türen für Anschlussaufträge aufstoßen“, so Glatzmeier. Weil angesichts der Finanzsituation grosse Akquisitionen mittelfristig nicht zur Diskussion stehen, will Glatzmeier jetzt mit Partnerschaften wachsen. „Wir beginnen jetzt, mit strategisch wichtigen Kunden Partnerschaften auf Zeit einzugehen“, so Glatzmeier. Ein Blick in die zwischenmenschliche Ehe-Statistik zeigt, dass er damit richtig liegen könnte. So holte er für den Auftrag in Fernost gleich einen seiner wichtigsten Baumaschinen-Kunden für die Gebäudeerrichtung ins Boot: „Dabei entsteht Dynamik, Wertschätzung unter Partnern und letztlich eine Situation, bei der jeder gewinnt“.

Ein Sonntagsspaziergang war das Geschäft von Christian Bauer noch nie. Und doch hat man sich bei der TCG Unitech GmbH im oberösterreichischen Kirchdorf mit der Produktion von Druckgussteilen und Pumpensystemen bequem eingerichtet. „Das Auto-Geschäft war pflegeleicht. Wir arbeiteten im Jahr fünf, sechs Großaufträge ab und freuten uns über minimale Änderungen am Teilespektrum und rationale Bearbeitungskonzepte“, sagt Christian Bauer, CEO des Unternehmens. Doch 2008, unerwartet wie ein Trompetenstoß, dann der Crash: Autobauer stornieren Aufträge in Serie und setzen die finalen Preisschrauben an. „Liegen wir mit einem Lenkgehäuse über 15 Euro, geht der Auftrag heute zu 90 Prozent nach Osteuropa“, sagt Bauer, seit April 2009 CEO. Weil die Preissituation auch mittelfristig wenig Hoffnung gibt, krempelt er im Oktober 2009 die Ärmel hoch: „Unser Ziel lautete ganz klar, neue Branchen zu erschließen, um uns aus der Umklammerung der Autobauer zu lösen“ sagt Bauer. Er analysiert die Märkte – und identifiziert eine Branche mit ähnlichen Fertigungszyklen: Ausgerechnet die Bauwirtschaft, stellt er fest, bietet respektable Chancen. Stabile Aluminium- und Magnesiumhalterungen für Glasfassaden benötigen das Know How der Kirchdorfer – sind aber weitaus weiger preissensibel. Die Gespräche in der sonst so gut versiegelten Branche laufen gut, und Bauer ist zuversichtlich: „Zur Jahresmitte werden erste Unterschriften unter Verträgen stehen“. Für Christian Bauer war Vernetzung entscheidend: „Ich betrachte es als Riesenvorteil, viele Menschen zu kennen“, sagt TCG Unitech-CEO Christian Bauer schnörkellos. Bauer trennt zwar strikt Privates von Beruflichem. „In schlechen Zeiten spreche ich mit Bekannten aber nicht nur über das Wetter, sondern wir betreiben intensives Brainstorming, was als nächstes anzupacken ist“, so Bauer. Ein wohl erfolgversprechender Zugang – denn nur „eins von zehn Projekten“ geht auch auf, sagt er. Was in seinem Fall erleichternd hinzukommt: Der studierte Betriebswirt durchlief neben seiner Beratungstätigkeit viele Stationen: Bauer arbeitete bei einem Energieversorger, in der Papierindustrie und bei der Bahn – eine Szenekundigkeit, die wohl auch den Eintritt in die Baubranche erleichterte. Trotz alledem war es auch hier kein Sonntagsspaziergang.