Messgeräte : 40 Millionen digitale Zwillinge

Netilion IIoT financial year 2018
© Endress+Hauser

Im digitalen Zeitalter sind 15 Jahre eine Ewigkeit. Schon 2004 brachte das Unternehmen ein internetbasiertes Life-Cycle-Tool auf den Markt. Es sollten noch einige Jahre ins Land ziehen, bis die Ersten von Industrie 4.0 zu visionieren begannen. Mit dem Tool konnten Kunden von Endress+Hauser schon damals internetbasiert ihre Feldgeräte abbilden. Wenn es etwas zu kalibrieren gab, wenn der Kunde eine Dokumentation brauchte – er musste keinen dicken Ordner mehr aus der Ablage holen, niemanden anrufen. Alles war bereits digitalisiert im Internet für ihn aufbereitet und direkt am PC abrufbar.

Der Zeit voraus

Doch damit war Endress +Hauser der Zeit zu weit voraus. Viele Kunden waren noch nicht bereit für diese Erleichterung.

Diese ersten hauseigenen Entwicklungen und die damit gesammelten Erfahrungen „helfen uns natürlich jetzt“, sagt Clemens Zehetner. Er leitet die Abteilungen Marketing und Solution bei der Österreich-Tochter von Endress+Hauser und irgendwie beiläufig, weil für das Unternehmen selbstverständlich, spricht er von „über 40 Millionen digitalen Zwillingen, die schon erzeugt sind“. Seit 2003 werden durchgängig die digitalen Daten von verkauften Geräten angelegt. Messgeräte, die noch aus der Zeit davor im Feld sind, nehmen Servicetechniker vor Ort konsequent auf. Produktionsdaten, Einsatzumgebung, Dokumentationen werden hier erfasst und auch die Berichte des Servicetechnikers abgelegt. Erst die Verknüpfung solcher Basisdaten schafft die Voraussetzung, Geräte zu vernetzen und neue Unterstützungsanwendungen zu kreieren.

Mit Messgeräten gestartet

Endress +Hauser hat mit Messgeräten begonnen (siehe Kasten). Das ist nach wie vor das Kerngeschäft des Global Players. Produziert wird größtenteils in Europa. In Asien und den USA gibt es ebenfalls Produktionswerke, aber dabei handelt es sich hauptsächlich um den Zusammenbau der Komponenten für die lokalen Märkte, um die Lieferzeiten kurz zu halten. Auch die Entwicklung findet zu 95 Prozent auf dem Heimkontinent statt. Dienstleistungen und Lösungen für die industrielle Verfahrenstechnik kamen nach und nach hinzu. Überdurchschnittliches Wachstum verzeichnen derzeit Kalibrierungsaufträge – auch von Geräten anderer Hersteller. Das Serviceteam in Österreich ist dabei auf mittlerweile 20 Mitarbeiter angewachsen, darunter 15 Techniker, die österreichweit im Außendienst sind. Stolz verweist Geschäftsführer Wolfgang Maurer auf deren exzellente Ausbildung (siehe Interview auf der nächsten Seite) und die damit einhergehende Kompetenz in den einzelnen Branchen: „Es geht auch darum, Kalibrierintervalle zu optimieren. Da sehen wir das Gesamte und besprechen mit dem Kunden, was in seiner Industrie sinnvoll ist.“ Für den Bereich Temperatur entwickelte Endress+Hauser gerade einen Temperaturfühler, der sich jedes Mal, wenn eine bestimmte Temperatur überschritten wird, selbst kalibriert. Das minimiert zum Beispiel Chargenausfälle bei der Medikamentenherstellung. Kein anderer Messgerätehersteller führt Kalibrierungen in diesem Umfang durch.

Lösungsanbieter

Das Messgerät alleine reicht heute nicht mehr (siehe Kasten Praxisbeispiel). Der Zug Richtung Lösung aus einer Hand nimmt immer mehr Fahrt auf. „Wir wollen dem Kunden nicht nur schnell ein Gerät verkaufen. Wir interessieren uns, welches Problem der Kunde damit lösen will. Geht es um Logistikoptimierung, Bestandsmanagement, um eine eichfähige Flüssigkeitsmessung, oder um die Prozessüberwachung- und -steuerung?“, meint Zehetner. Das Lösungsangebot von Endress+Hauser teilt sich demnach auf drei Bereiche auf: rund um Lagerung und Verteilung, um die Einhaltung von Qualität und Standards sowie das Life-Cycle-Management.

Digital vernetzt

Der aktuelle Trend der Digitalisierung und die Möglichkeiten mit IIoT (Industrial Internet of Things) wirken als Beschleuniger. Für die Anbindung sind immer mehr Produkte vorbereitet und Endress+Hauser bietet dazu auch unter dem Namen Netilion eine eigene IIoT-Infrastruktur an. Die Server stehen in Europa, das System ist nach den höchsten Sicherheitsstandards zertifiziert. Auf der Hannover Messe wurden dieses Jahr drei passende Apps vorgestellt. Netilion Analytics beschreibt innerhalb weniger Minuten ein Inventar der Produktionsanlage und berechnet darauf basierend jederzeit aktuelle Optimierungsvorschläge der Produktionsanlage; Netilion Health diagnostiziert, vereinfacht gesagt, den aktuellen Gesundheitszustand der Geräte, liefert Gründe für mögliche Probleme und welche Abhilfen es gibt; Netilion Library stellt das gesammelte Wissen der Anlage allen Mitarbeitern sofort und von überallher zur Verfügung. So ersparen sich Kunden wertvolle Suchzeiten und Archivierungsarbeiten.

„Das haben wir schon umgesetzt“, fasst Zehetner stolz zusammen. „Jetzt ist es wichtig, die Daten zu nutzen, die bereits vorhanden sind.“ Denn erfahrungsgemäß bleiben 90 Prozent der erzeugten Daten nach wie vor ungenutzt.

Wert schaffen

„Evolution statt Revolution ist einer der Leitsätze bei Endress +Hauser“, zitiert Heidemarie Zangerl von der Kommunikationsabteilung der Österreich-Tochter Klaus Endress. Geschäftsprozesse und Digitalisierung zusammenführen, damit Vorteile darauf erwachsen. Ein anderes Unternehmens-Paradigma lautet: „Erst dienen, dann verdienen“. „Wie können wir dem Kunden einen Nutzen schaffen – das ist der Fokus“, sagt Zangerl und betont mehrfach, dass Endress+Hauser eine außergewöhnliche Firma sei. Zur Unternehmenskultur gehört, sich auf Augenhöhe zu begegnen, bis ganz hinauf zu Klaus Endress, dem Sohn des Gründers, langjähriger CEO und nunmehriger Präsident des Verwaltungsrats. Dieser setzt auf eine hohe Eigenkapitalquote (lag 2018 bei 71 Prozent), und keiner der bisher zahlreichen Zukäufe sollte, so ein weiteres Credo, Endress+Hauser ins Wanken bringen. Österreich-Geschäftsführer Maurer schildert ein für ihn prägendes Erlebnis mit dem damaligen CEO: „In der Wirtschaftskrise vor zehn Jahren war die Aussage von Herrn Endress: Wir werden keine Leute entlassen! Denn wir brauchen unsere Mitarbeiter, wenn die Wirtschaft wieder anzieht. Genau das war damals der Fall. Das hörst du von einem Familienunternehmen, weniger wahrscheinlich von einer aktionärsbetriebenen Firma.“

Was ist bei Endress+Hauser Österreich einmalig? Wo kommt der Mitbewerb nicht mit?

Wolfgang Maurer Die ersten Firmen, die 1967 bei Endress+Hauser Österreich gekauft haben, sind auch noch heute unsere Kunden. Das zeigt, dass wir als Familienbetrieb sehr langfristig denken. Was uns auch noch besonders macht: Bei uns zählen nicht nur die großen Projekte, sondern auch jeder kleine Auftrag ist uns wichtig. Wir geben unser Bestes, egal ob es sich um kleine oder große Anfragen oder Aufträge handelt.

Was muss ich mir unter einem kleinen Auftrag vorstellen?

Maurer Bei 11.000 Aufträgen und an die 33 Millionen Euro im vorigen Jahr ergibt sich ein Durchschnitt von knapp 3000 Euro pro Auftrag. Da sind natürlich große dabei, aber eben auch sehr viele kleine, die darunter liegen.

Wie ist Endress+Hauser Österreich, übers Bundesgebiet gesehen, aufgestellt?

Maurer In den großen Ballungsgebieten der Industrie, also im Großraum Wien, Niederösterreich und Oberösterreich, haben wir für die größeren Kunden einen eigenen spezialisierten Außendienst. Da sind wir nach Industriebranchen aufgestellt, damit unser Außendienst genau weiß, was der Kunde braucht. Es ist immer wichtig, die Sprache des Kunden zu sprechen! In den anderen Bundesländern verfolgen wir eine regionale Ausrichtung. Dort ist unser Außendienst für alle Industrien zuständig.

Das sind alles eigene Mitarbeiter?

Maurer Ja, alles eigene. Jeder Außendienstmitarbeiter hat ein Pendant im Innendienst. Ist der Außendienst wegen eines Kundenbesuches grad nicht erreichbar, kann sich der Kunde an seinen zuständigen Innendienst wenden. Auch unsere Innendienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter sind mit den Kunden und deren Anliegen vertraut und kennen viele der Ansprechpartner persönlich. Dann gibt es noch ein Team für Kunden, die weniger Bedarf haben. Hier gibt es hauptsächlich Telefonkontakt, aber je nach Anforderung kommt es auch hier zu Kundenbesuchen.

Industrie 4.0, Internet of Things, Digitalisierung… Welche Antworten und Lösungen haben Sie?

Maurer Endress+Hauser hat hier schon vieles umgesetzt. Schon vor 15 Jahren haben wir ein internetbasiertes Life Cycle Management Tool auf den Markt gebracht. Bei der Hannover Messe haben wir die ersten IIoT-Anwendungen, wie Netilion Health, Netilion Analytics oder Netilion Library, vorgestellt – Netilion ist der Name für unsere IIoT-Umgebung. Es gibt immer wieder Kunden, die erstaunt sind, welche Lösungen wir schon anbieten. Außerdem haben wir verschiedene Apps und Online-Tools, die den Kunden bei seiner täglichen Arbeit unterstützen, und seit einem Jahr ist unser Online-Shop mit der Website verschmolzen. Registriert sich der Kunde auf endress.com, hat er ganz viele Möglichkeiten, mit uns in Kontakt zu treten, anzufragen, einzukaufen, er sieht alle Transaktionen seit Anfang 2017. Alle Möglichkeiten hier aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Eines möchte ich aber auch noch erwähnen: Wir bieten auch Live-Webinare für unsere Kunden an. Damit können die Kunden technisch am Laufenden bleiben und sich online gleich mit unseren Produkt- und Anwendungsspezialisten austauschen.

Wohin geht die Richtung beim Service?

Maurer Der Servicebereich hat bei Endress+Hauser eine große Bedeutung. Wir bieten Inbetriebnahmen, Kalibrierungen und Wartungen an. Dafür haben wir speziell geschulte Servicetechniker, die die Anlagen der Kunden und deren Branchenanforderungen kennen. Auch im Servicebereich arbeiten wir laufend an neuen Entwicklungen. Ein Beispiel ist die Hololens, die virtuelle Datenbrille, die den Kunden zum Beispiel bei der Inbetriebnahme unterstützen soll. Solche zeitsparenden Dinge werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen und wir wollen ganz vorne mit dabei sein.

Wo steht Endress+Hauser Österreich in fünf Jahren?

Maurer Was ich auf alle Fälle sehe, ist ein Wachstum im Bereich Dienstleistung und vorbeugender Wartung. Ich denke, dass sich produzierende Betriebe immer mehr auf ihr Kerngeschäft konzentrieren werden und andere Bereiche, wie Wartungen, Kalibrierungen, aber auch komplette Automatisierungslösungen, an verlässliche Partner auslagern werden. Hierfür sind wir mit unserem Angebot gut aufgestellt. Was ich auch sehe, ist, dass es schwieriger wird, qualifiziertes Personal zu finden. Deshalb legen wir Wert auf firmeninterne Weiterbildung und Schulung.