Hintergrund : Warum Peking hunderttausende Jobs in der Stahlindustrie streichen will

China will in der mit Überkapazitäten kämpfenden Kohle- und Stahlindustrie insgesamt 1,8 Millionen Beschäftigte abbauen. Das entspricht 15 Prozent der Mitarbeiterzahl. Mehr zu dem Einschnitt, der selbst für eine stark reglementierte Volkswirtschaft wie jene in China riesig ist, hier. Allein 1,3 Millionen Jobs sollen in der Kohleindustrie wegfallen. Die Führung in Peking will in den nächsten drei bis fünf Jahren die Kapazität in der Kohleförderung um rund 500 Millionen Tonnen abbauen.

"Das wird eine sehr schwierige Aufgabe", sagte der Minister für Arbeitskräfte und Soziale Sicherheit, Yin Weimin, in Peking. "Aber wir sind sehr zuversichtlich." Einen Zeitplan nannte er nicht. "Die Konjunktur sieht sich einem recht großen Abwärtsdruck ausgesetzt", sagte Yin. "Einige Unternehmen tun sich mit Produktion und Betrieb schwer, was zu mangelhafter Beschäftigung führen kann." Um soziale Unruhen zu vermeiden, neue Stellen zu schaffen und Schulden von pleitegehenden Firmen zu begleichen, stellt die Regierung umgerechnet fast 15 Mrd. Euro in den kommenden beiden Jahren zur Verfügung.

Chinas Stahlindustrie hat enorme Überkapazitäten angehäuft

Allein die Überkapazitäten der Stahlindustrie sind in China laut einer Studie der Europäischen Handelskammer zwischen 2008 und 2014 von 132 Millionen auf 327 Millionen Tonnen gestiegen. Die Situation wird Wirtschaftsexperten zufolge auch zu einem immer größeren Problem für ausländische Konkurrenten, weil chinesische Unternehmen ihre Erzeugnisse zu Niedrigpreisen auf dem Weltmarkt anbieten.

Diese Entwicklung macht auch der Stahlindustrie Europas rund um die Branchenführer wie ThyssenKrupp und Salzgitter oder Arcelormittal massiv zu schaffen. Der Voestalpine zufolge leidet die europäische Stahlbranche derzeit im Wesentlichen unter drei grundlegenden Problemen - den Überkapazitäten, der Klima- und Energiepolitik und dem Stahlimport aus China, Russland und anderen Regionen.

Voestalpine-Chef Wolfgang Eder gibt dabei auch zu, dass sein Unternehmen aufgrund der Fokussierung auf den Hochtechnologiebereich "nicht so stark von der aktuellen Krise der Stahlindustrie betroffen" sei wie viele europäische Konkurrenten.

Trotzdem gibt es quer durch die Branche den Versuch, bei der EU-Kommission in Brüssel deutlich schärfere Maßnahmen gegen chinesisches Stahldumping zu erreichen. Dieser Initiative haben sich sogar die Regierungen von mehreren EU-Staaten angeschlossen.

Industrie wird für Chinas Volkswirtschaft immer unwichtiger

Die Industrie in der nach den USA zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt verliert zunehmend an Bedeutung. Auf den Dienstleistungssektor entfiel in China im vergangenen Jahr erstmals mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt derzeit bei rund fünf Prozent.

Die Regierung will die Wirtschaft umbauen und die Abhängigkeit vom Export verringern. Dafür nimmt sie auch ein geringeres Wachstum in Kauf. Das Bruttoinlandsprodukt stieg 2015 mit 6,9 Prozent so langsam wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr. Die Regierung rechnet für dieses Jahr mit einem Plus von 6,5 bis 7 Prozent.

Kohleverbrauch leicht rückläufig - melden chinesische Statistiken

Das chinesische Statistikamt teilte mit, der Kohle-Verbrauch sei 2015 das zweite Jahr in Folge gesunken. Er ging im Vergleich zum Vorjahr um 3,7 Prozent zurück. 2014 hatte der Rückgang 2,9 Prozent betragen. Grund ist das sich seitdem abschwächende Wirtschaftswachstum in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.

In den zehn wirtschaftlichen Boomjahren bis 2014 hatte sich der Kohleverbrauch Chinas verdoppelt und mehr als vier Milliarden Tonnen pro Jahr erreicht. Im November wurde bekannt, dass China den Verbrauch jahrelang heruntergerechnet hatte - nach einer Änderung der statistischen Erhebung korrigierte Peking den Verbrauch für das Jahr 2012 um 17 Prozent nach oben.

Die Statistikbehörde steht im Verdacht, politisch gewünschte Zahlen zu liefern. Am Montag teilte sie mit, der Anteil der Kohle am gesamten Energieverbrauch habe 2015 bei 64 Prozent gelegen; 2014 waren es demnach noch 66 Prozent.

Greenpeace zeigte sich dennoch erfreut. Die Statistik zeige, dass China auf dem Weg sei, seine auf der Pariser Klimakonferenz erklärten Ziele zu übertreffen. "Das sind gute Nachrichten für alle", sagte Lauri Myllyvirta von Greenpeace. Allerdings sei die Entwicklung noch nicht so rasch wie sie sein könnte. Chinas Präsident Xi Jinping hatte in Paris gesagt, der Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases CO2 werde 2030 den Höhepunkt erreicht haben. (APA/Reuters/AFP/dpa/red)