Hintergrund : Russlandexporte: Größtes Problem sind nicht die Sanktionen

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Mitte Dezember werden die EU-Außenminister wieder darüber beraten, wie es mit den Sanktionen Europas gegen Russland weitergehen soll. Es wird wieder ein Zeitraum von sechs Monaten zur Debatte stehen. Und voraussichtlich werden diese Sanktionen wieder verlängert. Das verlautete bereits mehrfach aus Diplomatenkreisen.

Wachsende Entfremdung zwischen Russland und dem Westen

Die EU reagiert damit auf politischer Ebene auf das Vorgehen Moskaus in der Ukraine. Dort forciert die Regierung von Wladimir Putin einen blutigen Konflikt im Osten des Landes. Trotz vorübergehender Beruhigungsphasen ist Russland weiter keineswegs bereit, diesen Konflikt beizulegen – und zeigt auch sonst wenig Bereitschaft zu Kompromissen auf internationaler Ebene.

Nach dem Abschuss eines russischen Kampfbombers über turkmenischen Siedlungsgebieten an der türkisch-syrischen Grenze durch einen türkischen Jet lässt Regierungschef Putin den Konflikt mit der Türkei, eigentlich ein strategisch wichtiger Partner Russlands, immer weiter eskalieren. Wiederholte Gesprächsangebote Istanbuls werden ausgeschlagen. Der Bau der Gasröhre Turkish Stream, die der staatliche Gasmonopolist Gazprom als Alternative zum abgesagten Bau der Pipeline South Stream vorangetrieben hat, wurde soeben auf unbestimmte Zeit verschoben.

Wie der Streit mit der Türkei weitergeht, ist derzeit völlig offen. Nur die Kooperation zwischen Gazprom und der heimischen OMV, auch sie nicht unumstritten, nimmt gerade konkrete Züge an. Die OMV soll Anteile an einem Förderfeld in Sibirien und an der zukünftigen Gasröhre Nord Stream II durch die Ostsee bekommen. Welche Vermögenswerte in Österreich dafür der heimische Mineralölkonzern dem russischen Gasriesen anbietet, verhandelt gerade OMV-Chef Rainer Seele direkt mit Gazprom.

Europas Exporteure spüren die Sanktionen massiv

Die Sanktionen gegen Russland aufgrund des Vorgehens in der Ukraine werden also höchstwahrscheinlich verlängert. Bisher haben sie deutliche Spuren in den Bilanzen der stark exportorientierten Hersteller in Österreich und Deutschland hinterlassen. Eine der am stärksten davon betroffenen Branchen ist der Maschinenbau. Entsprechend laut ist der Unmut, der wegen der zu erwartenden Entscheidung schon jetzt aus dem Maschinenbau kommt. Dabei stehen für die Betriebe die politischen Gründe für die Sanktionen nicht im Vordergrund. Ihnen geht es ums Geschäft.

Die Hoffnung auf einen "schrittweisen Abbau der Sanktionen" habe sich schon zerschlagen, berichtet etwa der deutsche Maschinenbauverband VDMA. Die Umsätze im Handel mit Russland gingen dieses Jahr immer weiter zurück. "Allein in den ersten neun Monaten fielen die Maschinenexporte um knapp 27 Prozent auf 3,58 Milliarden Euro", sagt Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des VDMA. "Wenn das so bleibt, werden wir in diesem Jahr für nur noch rund fünf Milliarden Euro Güter nach Russland exportieren. Das wären fast drei Milliarden Euro weniger, als noch vor zwei Jahren."

Einbrüche im Maschinenbau

Bereits 2014, im ersten Jahr der Sanktionen, waren die deutschen Maschinenausfuhren nach Russland laut VDMA um 17 Prozent gesunken. Nur wenige Fachzweige, darunter Hütten- und Walzwerkeinrichtungen, Holzbearbeitungsmaschinen, Kompressoren und Papiertechnik könnten sich diesem Trend noch widersetzen, so der Fachverband weiter. Und nur sehr wenige Maschinenbauunternehmen können derzeit in Russland noch Gewinne schreiben.

Für den deutschen Maschinenbau fiel das Land innerhalb der vergangenen zwei Jahre im Ranking der wichtigsten Exportmärkte von Platz 4 auf Platz 10 zurück. Auch für das kommende Jahr macht sich im Maschinenbau Pessimismus breit, was die Geschäfte mit Russland angeht. Ein signifikanter Aufschwung der Exporte sei auch 2016 nicht zu erwarten, so VDMA-Geschäftsführer Brodtmann. Während es in einzelnen Branchen starke Einbußen gibt, spielen die Ausfuhren nach Russland mit einem Anteil von drei Prozent an den deutschen Gesamtexporten eine nachrangige Rolle.

Auch in Österreich geht die Ausfuhr von Waren nach Russland zwar immer weiter zurück. Nach den Einbrüchen des Vorjahres erwartet hier der Chef der Außenwirtschaft in der Wirtschaftskammer Österreich, Walter Koren, auch für heuer ein deutliches Minus. Allerdings täuscht die breite Diskussion in der Öffentlichkeit über die tatsächlichen Zahlen der Statistik Austria hinweg. So machen die Exporte Österreichs nach Russland, anders als man vermuten würde, tatsächlich nur recht bescheidene 2,5 Prozent der gesamten Warenexporte aus. Unter den Exporteuren aus Österreich finden sich vor allem heimische Lebensmittelproduzenten sowie Investitionsgüterhersteller und die Zulieferer an deutsche Industriebetriebe, die nach Russland exportieren.

Asiatische Maschinenbauer drängen in die Lücke - vergeblich

Ein Detail ist bei den Rückgängen der Exporte besonders interessant. Während der Handel zwischen Russland und dem Westen die Sanktionen zu spüren bekommt, drängen asiatische Maschinenbauer mit Hochdruck in die plötzlich geöffnete Marktlücke. Doch bisher hatten Hersteller aus China und den Nachbarstaaten damit keinerlei Erfolg – ganz im Gegenteil. So sind die Einfuhren aus der Region Ostasien im Jahr 2014 um über 30 Prozent gesunken – und das, obwohl die asiatische Industrie völlig ungehindert nach Russland liefern kann.

Zum Vergleich: Deutschlands Maschinenbauer konnten 2014, ungeachtet aller Sanktionen, ihre Anteile an den russischen Maschinenimporten halten, und zwar bei 19,2 Prozent. Die Anteile Chinas haben sich im selben Jahr dagegen von 15,4 Prozent auf 8,5 Prozent fast halbiert. "Und das trotz der angekündigten Hinwendung der russischen Wirtschaft nach Asien", bemerkt der VDMA und stellt fest: "Deutschland ist vorerst wichtigster Technologielieferant Russlands geblieben".

Dasselbe Bild ergibt sich für 2015. Die Einfuhr von Maschinen nach Russland ist in den ersten neun Monaten wieder stark zurückgegangen. Doch dabei ist wieder bemerkenswert, dass die Einbrüche bei den Importen aus Europa nicht stärker ausfallen als jene aus Asien.

Produktion von Rohstahl bleibt stabil

Offensichtlich sind die westlichen Sanktionen keineswegs der wichtigste Grund für den starken Niedergang der russischen Konjunktur und des Außenhandels - allen Klageliedern von Interessensverbänden zum Trotz. Natürlich wird die russische Wirtschaft tatsächlich von den Sanktionen geschwächt, aber weit weniger als allgemein angenommen. So ist zum Beispiel die russische Produktion von Rohstahl, also ein zentraler Indikator der Schwerindustrie, in den ersten zehn Monaten 2015 nahezu stabil geblieben.

Warum können dann Maschinenbauer aus Asien die Europäer nicht abhängen? Einer der Faktoren dabei ist sicher der Qualitätsvorsprung deutscher Maschinenbauer - doch offenbar nicht der entscheidende.

Das zentrale Problem des Handels mit Russland

Zentrale Ursache für die Krise in Russland sind nicht die Sanktionen, sondern der ständig weiter nach unten fallende Ölpreis. Noch Ende 2013 war ein Fass etwa 110 Dollar wert, im Vorjahr kostete es noch 80 Dollar. Inzwischen bewegt sich der Preis für ein Fass Rohöl der Nordseesorte Brent häufig unter der Marke von 40 Dollar.

Für Russland ist diese Entwicklung brandgefährlich. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen sind von existenzieller Bedeutung für das Land, doch sie gehen seit Monaten zurück. Dazu kommt die Rubelkrise. Allein im Laufe des Jahres 2014 ist der Rubel gegenüber dem Euro um rund 40 Prozent gefallen. Beim gesamten Wirtschaftswachstum erwartet der Internationale Währungsfonds für 2015 einen Rückgang von 3,4 Prozent. Allerdings lag das Minus bereits im zweiten Quartal bei 4,6 Prozent. Moskau hat darauf bisher mit massiven Einsparungen reagiert. Falls sich allerdings die Situation auf dem Weltmarkt weiter verschärfen sollte, gehen der Regierung für noch stärkere Gegenmaßnahmen zunehmend die Möglichkeiten aus.

Genau danach sieht es gerade aus. Beim jüngsten Treffen des Ölkartells Opec im Dezember in Wien hat sich keine Trendwende abgezeichnet: Die Mehrheit der Beobachter rechnet damit, dass die Opec ihre Fördermengen beibehalten und die Märkte weiter mit billigem Öl fluten wird. Dazu kommt der Klimawandel, wegen dem heuer ein extrem warmer Winter erwartet wird - und damit auch eine schwache Nachfrage nach Gas und Öl für die Heizungen. Der Ölpreis dürfte also weiter in der Nähe seiner Tiefststände während der Krisenjahre 2008 und 2009 herumdümpeln.

Ende des billigen Öls nicht in Sicht

Das ist für einen Rohstoffexporteur wie Russland keine gute Nachricht. Internationale Beobachter taxieren die Grenze, ab der das billige Öl sich zu einer ernsthaften Bedrohung für Russland auswachsen könnte, bei einem Niveau von etwa 30 Dollar. Unterhalb dieses Betrags sei die Wirtschaft im flächenmäßig größten Land der Welt derart belastet, dass die Stabilität bedroht wäre, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg.

Das Land habe es über Jahrzehnte versäumt, seine Wirtschaft breiter aufzustellen und unabhängiger von Öl und Rohstoffen zu machen, meinte vor einem Jahr Ulrich Grillo, Chef des Industrieverbandes BDI. Damals verteidigte Grillo die Sanktionen und den politischen Kurs Europas: Die wirtschaftliche Krise gehe nicht auf die Sanktionen zurück, sondern auf die Fehlentscheidungen Moskaus.

Russischer Vizefinanzminister: "Neue Situation bei den Zahlungsbilanzen"

Die Folge des billigen Öls: Der Ölpreis könnte die für Russland kritische Marke von 30 Dollar je Fass nach unten durchbrechen - und sich weiter in Richtung 20 Dollar bewegen. "Die Situation, in der wir gerade stecken, ist keine Krise mehr", zitiert Bloomberg den stellvertretenden russischen Finanzminister Maxim Oreschkin.

Bei einer Gesprächsrunde im russischen Parlament meinte der Spitzenpolitiker: "Angesichts der Ölpreise haben wir es mit einer neuen Realität zu tun - und mit einer neuen Situation auch bei den Zahlungsbilanzen." Dennoch war Oreschkin um Beruhigung bemüht: Ein Absturz des Ölpreises auf 30 Dollar sei kein wahrscheinliches Szenario. Die russische Wirtschaft stecke trotzdem in großen Schwierigkeiten, sagen Marktbeobachter. Es gebe nur die Alternative, den Rubel weiter abzuwerten oder die Ausgaben zu kürzen.

Einfluss der Industrie in Europa bleibt begrenzt

Einige Analysten weisen allerdings auch darauf hin, dass das Riesenreich inzwischen besser als früher auf einen weiteren Ölpreisschock vorbereitet sei. Die Wechselkurse seien flexibler, die Haushalte gestrafft, der Bankensektor konsolidiert und die Reserven ausreichend, so Per Hammarlund von der Stockholmer SEB AB gegenüber Bloomberg.

Auch Deutschlands Maschinenbauer betonen derzeit lieber die positive Seite des Geschehens. Dass die Exporteure ihre Marktanteile gegenüber der Konkurrenz aus Asien verteidigen konnten, zeige, "wie stark die Geschäftsbeziehungen der deutschen Maschinenbauer in Russland sind", sagt Ulrich Ackermann, Leiter des Bereichs Außenwirtschaft im Fachverband VDMA.

Entsprechend drängt Ackermann vehement auf ein Ende der Sanktionen - ungeachtet aller politischen Entwicklungen. Falls die Strafmaßnahmen gegen Russland noch lange andauern sollten, werde "die angekündigte Hinwendung nach Asien Realität werden und die deutschen Lieferanten dauerhaft ins Hintertreffen geraten."

Tatsächlich sind es allein die Brüsseler Sanktionen, auf die Interessensvertreter europäischer Hersteller überhaupt noch Einfluss nehmen können. Auf einen weitaus wichtigeren Faktor im Handel mit Russland, nämlich den in Wien oder in Riad ausgehandelten Ölpreis, haben sie keinen Einfluss mehr. Und auf die politische Linie Moskaus noch weniger.

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