Verbund-Konferenz Energy2050 : Neuer Grenzzaun im Stromhandel?

Während die Flüchtlingskrise in diesen Tagen das allbeherrschende Thema in der breiten Öffentlichkeit ist, drängt sich am ersten Tag der Energiekonferenz „energy2050“ des Verbund ebenfalls ein hochaktuelles Thema absolut in den Vordergrund.

Konkret geht es um den Vorstoß aus Brüssel, die gemeinsame Handelszone für Strom zwischen Deutschland und Österreich zu trennen – ein Vorschlag, der enorme Auswirkungen für den gesamten Wirtschaftsstandort Österreich zur Folge hätte.

Energieregulierer wollen einzige gemeinsame Handelszone Europas trennen

Heute hat ACER, die Agentur der europäischen Energieregulierungsbehörden, ausdrücklich empfohlen, die deutsch-österreichische Stromhandelszone zu trennen. Während also im Zuge der Flüchtlingskrise einige Staaten Europas ihre Grenzen wieder dicht machen, soll auch die europaweit einzige funktionierende gemeinsame Handelszone zwischen zwei Staaten gekappt werden. Aus Österreich kam umgehend massiver Protest. Das demonstrieren nicht zuletzt zahlreiche Stellungnahmen der Energie- und Industriemanager unter den Gästen der Energiekonferenz.

Strom könnte um 15 Prozent teurer werden

Die Ablehnung überrascht kaum – denn falls in der gemeinsamen deutsch-österreichischen Handelszone wieder eine Grenze eingezogen wird und der Handel mit vergleichbaren Schranken stattfindet wie zwischen anderen EU-Staaten, dann steigt hierzulande der Preis für Strom spürbar an. Verbund-Chef Anzengruber beziffert diesen Anstieg im Großhandel mit rund 15 Prozent. „Für die Energieversorger wäre dieser Preisanstieg kurzfristig von Nutzen“, sagt Anzengruber – und fügt hinzu: „Wir sehen diese Maßnahme trotzdem sehr kritisch, weil dieser Nutzen in keinem Verhältnis zum Schaden steht, der dem Standort entstehen würde.“ Auch Wolfgang Hesoun, Konzernchef von Siemens Österreich, lehnt den Vorschlag ab: „Wir sind sehr besorgt über diese mögliche Zusatzbelastung. Als Vertreter der Wiener Industrie sage ich: Hier geht es ganz konkret um österreichische Arbeitsplätze.“

Beschwerde aus Osteuropa

Hinter dem Vorstoß steht intensive Lobbyarbeit Polens, wie Experten während der Konferenz gegenüber dem INDUSTRIEMAGAZIN bestätigen. Das Land setzt bis heute massiv auf Braunkohle und hat über Jahrzehnte kaum in seinen Kraftwerkspark investiert. Der starke Ausbau der Windkraft in Norddeutschland und zugleich die Nachfrage nach Energie in Süddeutschland und Österreich sorgen für eine Destabilisierung der osteuropäischen Netze, weil auch innerhalb Deutschlands immer noch massive Engpässe bei Stromnetzen bestehen – und genau das sorgt für den aktuellen Ärger in Osteuropa.

Jetzt sollen zunächst Verhandlungen zwischen Wien und Berlin, und dann auch mit der polnischen und tschechischen Seite eine Lösung in diesem Streit bringen. Die deutsche Bundesnetzagentur hat als Regulierungsbehörde des Landes den Vorstoß zwar grundsätzlich begrüßt – will ihn jedoch nicht genau so umsetzen wie von ACER vorgeschlagen. Sowohl die Bundesnetzagentur als auch die heimische E-Control betonen dabei die enge und gute Zusammenarbeit. Doch scheitern die Verhandlungen mit Polen und Tschechien, behalten sich heimische Akteure auch rechtliche Schritte vor.

Vertreter Deutschlands relativieren

Auf der Verbund-Konferenz energy2050 ist die deutsche Seite jedenfalls um Relativierungen bemüht. „Die Diskussion darf man nicht fehlinterpretieren“, sagt Rainer Baake, Staatssekretär des Berliner Bundeswirtschaftsministeriums – „wir als Bundesregierung haben dazu noch keine Position bezogen. Wir werden das in guter Freundschaftstradition mit den Kollegen in Österreich diskutieren.“

Besonders hierzulande ist die Aufregung trotzdem groß – doch wäre eine auch für die Industrie vertretbare Lösung weiterhin möglich. Walter Boltz von der E-Control rechnet damit, dass bis Ende dieses Jahres ein Kompromiss gefunden werden kann. „Die Fakten liegen jetzt auf dem Tisch. Wie die Lösung aussehen wird, kann ich heute aber noch nicht sagen“, sagt Boltz.

Keine Entscheidung in Kürze

Bei aller Aufregung über den Vorstoß bleibt ein Aspekt völlig unerwähnt – der Zeitpunkt, zu dem die Maßnahme tatsächlich in Kraft treten kann. „Was es bis jetzt gibt, ist eine Empfehlung von ACER“, so Oliver Koch von der Generaldirektion Energie der EU-Kommission gegenüber dem INDUSTRIEMAGAZIN. „Hier geht es um eine Neudefinition einer Preiszone. Und derartige Veränderungen müssen verpflichtend einen umfangreichen Überprüfungsmechanismus durchlaufen. Das ist üblicherweise ein etwa ein bis zwei Jahre dauernder Prozess.“ Der Vertreter der EU-Kommission auf der Energiekonferenz rechnet daher mit einer Entscheidung zu diesem Streit nicht vor dem Jahr 2017.

Zumindest die Angst vor einem schon in Kürze einsetzenden, massiven Preisanstieg bei Strom ist offenbar unbegründet.