VW-Zulieferstreit : Nach dem VW-Zulieferstreit: Autobauer werden verwundbarer

Der Ausgang des Machtkampfs zwischen dem deutschen Autohersteller Volkswagen und den beiden Lieferanten aus Sachsen zeigt, dass die Kräfteverhältnisse in der Branche in Bewegung geraten sind. Die Übermacht der Autohersteller gegenüber ihren Zulieferern bröckelt.

Große Konzerne wie VW können ihren kleineren Partnern aufgrund der Einkaufsmacht zwar weiterhin vieles diktieren. Der Fall der Prevent-Gruppe belegt nach Meinung von Experten aber auch, dass es eine Gegenbewegung gibt.

"Die Zeit der netten Familienunternehmen geht zu Ende", sagt Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer. Ursache sei der enorme Kostendruck der Autobauer, den sie teils unerbittlich an ihre Zulieferer weitergäben und diese an den Rand ihrer Existenz drängten. In dieser Zwangslage müssen die Lieferanten neue Wege suchen - und neue Verbündete.

Plötzlich mischen Finanzfirmen und Investmentbanker mit

"Die vermeintlichen Zwerge können die Gullivers der Autobranche in Nöte bringen", sagt Dudenhöffer, der das CAR-Institut an der Uni Duisburg-Essen leitet. Ein relativ neuer Trend sei etwa, dass Beteiligungsgesellschaften die Autozulieferbranche wiederentdeckten, indem sie schwache und teils marode kleine Lieferanten aufkauften.

Dann stünden den Einkäufern der Konzerne auf einmal smarte Investmentbanker gegenüber, die mit internationalen Anwaltskanzleien zusammenarbeiteten. Ziel der Investoren seien vor allem Firmen, die vergleichsweise einfache Produkte wie Guss- und Blechteile oder Teile von Innenausstattungen für Autos herstellen. Als Beispiel nennt Dudenhöffer das US-Unternehmen IAC, hinter dem der Finanzinvestor Wilbur Ross steht.

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Sächsische Autozulieferer haben andere Akteure im Hintergrund

Auch die sächsischen Firmen, die VW die Stirn boten, hatten ein größeres Konglomerat im Rücken - die Prevent-Gruppe mit ihrem bosnischen Gesellschafter, der Familie Hastor. Juristisch und wirtschaftlich blieben die Firmen selbstständig, wurden von der Gruppe aber geschickt gesteuert. Bei VW stellte zunächst die Prevent-Tochter Car Trim die Lieferung von Sitzbezügen ein und sorgte so dafür, dass die Passat-Werk in Emden stillstand.

Um den Druck zu erhöhen, hielt die ebenfalls zu dem Firmenverbund gehörende ES Guss Getriebeteile zurück und legte so die Produktion des VW-Bestsellers Golf im Stammwerk in Wolfsburg und im sächsischen Zwickau lahm. VW musste am Ende nachgeben, um den Produktionsstillstand in Grenzen zu halten und wegen des zehntausendfach beantragten Kurzarbeitergelds nicht öffentlich in die Kritik zu geraten.

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Dabei hat sich Volkswagen nach Meinung anderer Experten selbst in diese Lage manövriert. Die Wolfsburger hätten sich in den vergangenen Jahren in eine Abhängigkeit begeben, die Prevent ausgenutzt habe. Der Sparzwang, unter dem die ertragsschwache Hauptmarke VW wegen des Dieselskandals und des laufenden Umbaus steht, dürfte die Wolfsburger in dem Streit noch unnachgiebiger gemacht haben als ohnehin schon, glauben die Fachleute.

Der Fall VW zeige auch einen generellen Trend in der Branche. Die Spannungen im Verhältnis zu den Lieferanten seien in den vergangenen Jahren immer kritischer geworden, weil die Automobilhersteller sich bei vielen strategischen Produkten auf ein sogenanntes Single Sourcing eingelassen hätten.

Dabei beziehen die Autobauer wichtige Teile lediglich von einem Lieferanten - auch, weil sie ihre Wertschöpfung drastisch reduziert haben. "Man kann möglicherweise dadurch bessere Preise und Konditionen durchsetzen, aber die Abhängigkeit ist umso gravierender", sagt Richard Fudickar von der Personalberatung Boyden. Der in der Vermittlung von Topmanagern aus der Automobilindustrie zu den führenden Headhuntern zählende Experte sieht eine ähnliche Entwicklung auch bei Daimler und anderen Automobilherstellern.

Die Spannungen zwischen den Partnern steigen

Fudickar erwartet, dass der Konflikt bei VW dazu führen wird, dass die Autobauer verstärkt nach alternativen Bezugsquellen suchen werden. "Ob das schon zu einer Verschiebung des Machtgefüges führt, wird man erst in eineinhalb, zwei Jahren sehen, wenn die nächsten Jahresverhandlungen und Abschlüsse über große Liefermengen vollzogen sind", erläutert Fudickar. "Der Punkt wird sein, ob es weiter um die Maximierung der eigenen Machtposition geht - bei VW um die besten Konditionen und bei den Lieferanten um die Exklusivität der Beziehungen."

Am Ende werde es darauf ankommen, ein Gleichgewicht zu finden, bei dem beide gute Preise und auskömmliche Margen bei langen Vertragslaufzeiten erzielen könnten. "Die Automobilhersteller können nichts davon haben, wenn ein Lieferant nach dem anderen in die Knie geht und sagt: Wir können euren Anforderungen nicht mehr genügen." Größere Systemlieferanten wie Conti, Bosch und ZF Friedrichshafen hätten bessere Möglichkeiten als ihre kleineren Konkurrenten, den Druck der großen Automobilhersteller durch Innovationen auszugleichen.

Es braucht einen anderen Umgang - von beiden Seiten

Der Streit bei VW sollte nach Ansicht des Automobilexperten Stefan Bratzel Anlass für ein Umdenken in der Branche sein. "Hier braucht es einen Neustart. Sowohl in der Art und Weise wie Hersteller mit ihren Zulieferern zusammenarbeiten als auch umgekehrt", sagt Bratzel, der das Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach leitet. Bis das bei der scharfen Konkurrenz Realität wird, dürften jedoch noch einige Jahre ins Land gehen - und womöglich weitere Konflikte ausgetragen werden. (reuters/apa/red)