Chinas Status als Marktwirtschaft : MES: Europa droht ein neuer Handelskrieg mit China

Vor 15 Jahren wurde China der Status als Marktwirtschaft in Aussicht gestellt. Aus Angst um Arbeitsplätze will die EU ihr damaliges Versprechen aber nicht erfüllen. China ist empört - und will den Europäern jetzt die Geschäfte erschweren.

Nun droht der Europäischen Union ein Handelskonflikt mit China, der besonders die deutsche Wirtschaft und ihre Autobauer in Mitleidenschaft ziehen könnte. Ursache ist die europäische Weigerung, der zweitgrößten Volkswirtschaft den Status als Marktwirtschaft (MES) einzuräumen. Es würde China vor teuren Anti-Dumping-Klagen schützen - also vor Beschwerden, dass es seine Waren unter Preis auf den Markt wirft. Gerade jetzt in der Stahlkrise wird China vorgeworfen, wegen seiner Überkapazitäten seinen Stahl viel zu billig anzubieten.

Wegen Importen von Billigstahl verschwinden in Europa tausende Arbeitsplätze

Auf dem diese Woche stattfindenden G-7-Gipfel der führenden Industrienationen setzt sich die EU für deutlich stärkeren Schutz gegen billige Stahlprodukte aus China ein. Solches Dumping müsse gerade dann berücksichtigt werden, wenn die EU über die von China geforderte Gewährung des Marktwirtschaftsstatus diskutiere, sagte EU-Kommissionspräsident auf dem Gipfel im japanischen Ise-Shima.

"Die globalen Überkapazitäten im Stahlbereich sind eine große Sorge für die Europäer", sagte Juncker. Die Stahlflut habe in Europa schon tausende Arbeitsplätze gekostet. Die Überkapazitäten in China seien nach Schätzungen doppelt so groß wie die gesamte EU-Stahlproduktion. "Wir haben klargemacht, dass wir unsere Schutzmechanismen im Handel ausweiten werden", sagte Juncker. Die EU-Kommission wolle als nächstes einen Bericht über die Auswirkungen einer Einstufung Chinas als Marktwirtschaft vorlegen.

Der Ton verschärft sich

"Europa sollte zweimal nachdenken, bevor es eine endgültige Entscheidung über Chinas Marktwirtschaftsstatus fällt", warnte die chinesische Staatsagentur Xinhua nach dem Votum des EU-Parlaments, China die verbesserten Handelsbedingungen vorzuenthalten. "Nach der Resolution des Parlaments steuern China und die EU auf einen handfesten Konflikt zu", sagte ein EU-Diplomat der Deutschen Presse-Agentur in Peking. "Am Ende droht sogar ein Handelskrieg."

Der Ton hat sich verschärft. Von chinesischer Seite werden schon Strafmaßnahmen in Aussicht gestellt. "Es gibt zunehmend konkrete Drohungen mit Vergeltungsmaßnahmen gegen europäische Firmen", sagte der EU-Diplomat. "Von chinesischer Seite wurde gesagt: Viele europäische Unternehmen verdienen hier gut, das muss nicht so bleiben. Auch die deutsche Autoindustrie wurde ausdrücklich erwähnt."

Deutsche Industrie besonders von China abhängig

Während aktuell die Stahlindustrie in ganz Europa die Auswirkungen von chinesischen Stahlimporten zu Dumpingpreisen massiv zu spüren bekommen, sind auf der anderen Seite weite Teile der Wirtschaft besonders vom chinesischen Markt abhängig. Das gilt in erster Linie für die deutsche Automobilindustrie und ihre Zulieferer, gerade hier in Österreich.

"Sollte da Druck ausgeübt werden, würde es das Geschäft erschweren", sagte eine Quelle bei einem großen deutschen Autoproduzenten in Peking. Denkbar sind Probleme bei der Einfuhr von Luxuskarossen, die in Deutschland gebaut werden, oder andere bürokratische Hindernisse. Das kann auch andere Wirtschaftszweige treffen. "Sie können die Schraube leicht oder fest zudrehen, bis es wirklich weh tut", sagte der EU-Diplomat.

Nach der Resolution des EU-Parlaments steckt die Europäische Union aber in einer Zwickmühle. Die Entschließung der Abgeordneten, die sich um Millionen von Arbeitsplätzen sorgen, ist zwar nicht bindend. Aber die EU-Kommission bräuchte am Ende auf jeden Fall die Zustimmung der Parlamentarier, wollte sie China den Status einräumen wollen.

Das Dilemma Europas

Schwierig genug ist schon die ebenfalls nötige qualifizierte Mehrheit der EU-Mitglieder, wobei die Einwohnerzahl gewichtet wird. Die Gemeinschaft ist tief gespalten. So fürchten Diplomaten, dass China in die Offensive geht und gezielt gegen unwillige und unentschiedene Mitgliedsstaaten vorgehen wird.

Aus der Sackgasse kommt die EU nur schwer raus. China war in Artikel 15 des Vertrages für seinen Beitritt in die Welthandelsorganisation (WTO) 2001 versprochen worden, dass es 15 Jahre später als Marktwirtschaft anerkannt werde. Chinas Regierung pocht darauf, dass das Versprechen termingerecht im Dezember dieses Jahres erfüllt wird.

Die meisten EU-Rechtsexperten glauben auch, dass China bei einer Anrufung des Streitbeilegungsmechanismus der WTO rechtlich die stärkere Position hat. Doch würde ein Verfahren zwei Jahre dauern.

Chinesische Diplomaten poltern: "Das ist eine Schande"

Der Streit wird auch die Regierungskonsultationen überschatten, zu denen Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und ihr Kabinett am 13. Juni in Peking erwartet werden. Die Lage ist so verfahren, dass ein Kompromiss notwendig wäre, der einige Verteidigungsmechanismen bewahrt. "Wir sind weit voneinander entfernt - und es ist schwer, eine Brücke zu bauen", sagt der EU-Diplomat. "Beide Seiten müssen verstehen, dass sie sich bewegen müssen. Die Zeit wird langsam knapp."

Aber warum sollte sich China darauf einlassen, wenn ihm der Status angeblich zusteht? Es sei "eine Schande", wie China als große Volkswirtschaft behandelt werde, poltert die chinesische Zeitung "Global Times". Die EU wolle ein paar Industrien im Süden schützen, "aber wird am Ende nur ihren eigenen Interessen schaden", warnt das Blatt, das vom Parteiorgan "Volkszeitung" herausgegeben wird.

Der entscheidende Punkt: Auch China hat etwas zu verlieren

"Ich rechne mit einer Menge Rhetorik", sagt der Präsident der Europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke. "Die Chinesen werden große Drohungen an die Wand malen, aber da müssen wir die Nerven behalten." Denn China hat auch etwas zu verlieren: "Immerhin investiert China nun mehr als doppelt so viel in der EU als wir in China, und China verkauft für 500 Millionen Euro mehr in die EU als wir nach China - pro Tag."

(dpa/apa/red)