Energieversorgung : Freunde Baumgartens

Dass es ein Freitag, der 13. ist, kann nicht der Grund für die düstere Miene von Günter Oettinger sein. Als der EU-Energiekommissar an jenem sonnigen Brüsseler Juninachmittag nach dem Treffen mit den Energieministern vor die Mikrofone tritt, will er eigentlich über Klimaziele reden – doch die Öffentlichkeit interessierte ganz anderes. Wie will die EU die Energieversorgung Europas angesichts des Gaslieferstopps von Moskau an Kiew sicherstellen?

„Gravierende politische Folgen“

Zufall oder nicht – mitten in die angespannte geopolitische Situation zwischen Europa und Russland platzte vor wenigen Wochen eine politische Bombe. Nach intensiven Verhandlungen unterzeichnete die OMV ein „Memorandum of Unterstanding“ mit den Konsortialteilnehmern von South Stream, wonach die Pipeline den größten Teil des Gases nicht (wie ursprünglich geplant) nach Süditalien, sondern ins niederösterreichische Baumgarten pumpen soll. Der Aufschrei reichte von Rom bis Warschau. Österreich nutze mit seinem direkten Draht nach Moskau den schwelenden Ost-West-Konflikt wieder einmal zugunsten seiner teilstaatlichen OMV, so der Vorwurf aus Italien. „Das könnte gravierende politische Folgen haben“, drohte der italienische Vize-Industrieminister Claudio de Vincenti unverhohlen.

„Divide et impera“

Die Spannung an jenem Freitag, den 13. Juni war also riesig, als EU-Kommissar Oettinger vor die Mikrofone trat – und endlich auch die Position Gesamteuropas darstellen sollte. Im Mai, am von INDUSTRIEMAGAZIN veranstalteten Industriekongress, war Oettinger noch vorsichtig, als er eher allgemein anmerkte, Österreich solle „nicht dem divide et impera von Wladimir Putin“ anheimfallen. Jetzt wurde er deutlicher: Die zwischen einzelnen EU-Regierungen und Gazprom geschlossenen Abkommen seien nicht mit EU-Recht in Einklang zu bringen. Die EU-Kommission habe das Mandat, Änderungen mit Russland zu verhandeln. Und: „Die Verhandlungen über das Projekt sind derzeit unterbrochen, weil Russland dies nicht akzeptiert und damit vor die WTO zieht.“

Faustpfand

Unvermittelt sieht sich die OMV – als strategischer Player des Projektes South Stream, neben der Voestalpine, die um rund eine Milliarde Euro 75.000 Pipelinerohre liefert – mitten im geopolitischen Machtpoker: Die Erdgasleistung ist Faustpfand in einem politischen Konflikt, der in der Ukraine längst in einen militärischen übergegangen ist. Die russischen Energieimporte sind der einzige wirkliche Hebel Europas, Druck auf Moskau auszuüben – weder läge es im Interesse Europas, die Abhängigkeit von russischem Gas weiter zu erhöhen, noch wolle man Wladimir Putin mit einer Leitung um die Ukraine herum erlauben, dem Nachbarstaat Ukraine noch einfacher das Gas abdrehen zu können.

Doch das ficht den heimischen Mineralölkonzern nicht an. Die OMV sieht sich weder rechtlich noch moralisch auf der falschen Seite. „Die EU-Kommission sollte die Gespräche über South Stream nicht beenden, sondern beschleunigen“, sagt OMV-Chef Gerhard Roiss. Weder seien die Pläne zur Abzweigung der Pipeline nach Baumgarten überraschend gekommen noch die EU-Kommission dabei übergangen worden. „Basis ist ein Vorvertrag von 2010, der damals unter Einbeziehung der EU-Kommission unterschrieben wurde und heute weiterhin gültig ist“, sagt ein Manager, der in die Entscheidungsprozesse involviert ist, aber nicht persönlich zitiert werden will. Und die italienische Erregung hält man in der OMV-Zentrale in der Wiener Trabrennstraße ohnehin für aufgesetzt. Italien und vor allem der Energieriese Eni verfüge über sehr enge Verbindungen zu Russland, die diese auch zu nutzen wüssten, heißt es.

Tauschgeschäft

Klar ist: Für die OMV macht South Stream, besonders nach dem jüngsten riesigen Gasfund im Schwarzen Meer, Sinn. Und die Entscheidung, einen Teil des South-Stream-Gases über den Hub Baumgarten abzuwickeln, wertet den Standort im Weinviertel dramatisch auf. Bereits jetzt werden über Niederösterreich rund ein Drittel der russischen Exporte nach Westeuropa gepumpt. Doch das Geschäft mit dem Zwischenhandel wird die OMV auf keinen Fall alleine machen. Seit Mai verhandelt Gerhard Roiss mit Gazprom um einen Anteil von 25 Prozent an der Gashandelsplattform in Baumgarten. Bislang hält die OMV 65 Prozent am Verteiler, beim Einstieg der Russen verliert die OMV die Mehrheit.

Präzedenzfall Wingas

Eine schleichende Übernahme von Infrastruktur wie Netzen, Lägern und Verteilerstellen wie jener der OMV in Baumgarten befürchten Kritiker des South-Stream-Projektes auf gesamteuropäischer Ebene. Als Präzendenzfall dafür dient Wingas und die Pipeline Opal. Die Röhre mit dem klangvollen Namen transportiert russisches Gas von der Ostsee an die tschechische Grenze. Die Mehrheit an Opal hält eigentlich die deutsche Gashandelsgesellschaft Wingas, die wiederum bisher zur Hälfte zum Chemieriesen BASF gehörte.

Über weit gefächerte Vereinbarungen sicherte sich Gazprom mit BASF vor einigen Monaten einen Tausch „wertgleicher Unternehmensanteile“. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt ging der Milliardendeal in diesem Frühjahr über die Bühne. Seither gehört Gazprom ein Fünftel der deutschen Gasspeicher, ein Fünftel am deutschen Gashandelsmarkt und Anteile am Gasspeicher im österreichischen Haidach – sowie die Hälfte von Wingas.

Russischer Hebel

Der Wingas-Deal wäre eigentlich ein klarer Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln der EU: Gashändler dürfen nicht zugleich den Zugang zu den Pipelines kontrollieren. Doch deutsche Behörden fixierten im Falle von Wingas Ausnahmeregelungen – und Brüssel musste tatenlos zusehen. Ähnlich soll es beim Projekt South Stream laufen: In bilateralen Vereinbarungen hat sich der russische Staatsmonopolist Gazprom ausgehandelt, dass das letzte Wort über das Management, die Tarife und vor allem über den Zugang zur neuen Pipeline im Hause bleibt. Die Vielzahl an möglichen Routen zeigt, über welchen Hebel Gazprom gegenüber nationalen Regierungen verfügt. Baumgarten ist da – allen Jubelmeldungen zum Trotz – nur eine Option von vielen.

Düstere Miene

Der Opal-Wingas-Tauschhandel darf sich keinesfalls wiederholen – das ist die feste Überzeugung von EU-Kommissar Günter Oettinger. Und wie es scheint, setzt er seine Überzeugung durch: Mitte Juni hat (das am Tropf von EU-Beihilfen hängende Mitgliedsland) Bulgarien nach lange anhaltendem Widerstand den Weiterbau der Pipeline eingestellt. Serbien, traditioneller Verbündeter Moskaus, aber mit starken Hoffnungen auf einen mittelfristigen EU-Beitritt, hat ebenfalls eingelenkt: Der Start der Bauarbeiten für die Pipeline wird verschoben.

Jetzt soll die europäische „Türe für Aserbaidschan, in die kurdische Region im Irak und Turkmenistan und in den Iran“ geöffnet werden. Auch Norwegen soll wichtigerer Lieferant werden, der nördliche Nachbar der EU könnte zukünftig, sagt Oettinger, „fast gleich wichtig wie Gazprom werden“. Man wird doch noch träumen dürfen. Auch an einem Freitag, den 13.