Kommentar : Die Macht der Anständigen

Das Bild ist schockierend. An einem Kran des Salzburger Unternehmens Palfinger hängt ein öffentlich Hingerichteter. Die Aufnahme soll 2011 im Iran entstanden sein. Anfang August geisterte es (wieder einmal) durch die Medien. Der Grund: Palfinger-Chef Wolfgang Ortner sagte bei der Präsentation der Halbjahresbilanz am 30. Juli, die Aufhebung der internationalen Wirtschaftssanktionen gegen den Iran mache das Land zu einem Hoffnungsmarkt. Eine Menschenrechtsgruppe namens "Stop the Bomb" ging daraufhin mit dem Bild und der Behauptung "Palfinger schielt auf den Hinrichtungsmarkt Iran“ in die Öffentlichkeit.

Jetzt könnte man die Motivation der Nonprofit-Organisation spekulieren. Das ziemlich eindimensionale Betätigungsfeld von "Stop the Bomb" ist es seit Jahren, eine Annäherung des Westens an das iranische Regime zu verhindern. Menschenrechtsverletzungen im benachbarten Saudi Arabien scheinen die bestens vernetzten und finanzierten Aktivisten hin- gegen nicht zu interessieren.

Aber man könnte auch grundsätzlichere Fragen stellen. Etwa jene: Wie viel moralische Verantwortung darf eine Gesellschaft seinen Unternehmen aufbürden? Kann man von global tätigen Unternehmen verlangen, die Welt schlagartig mit jenen Menschenrechts-, Korruptions-, Kinderarbeits- oder Arbeitsstandards zu überziehen, die über Jahrzehnte daheim erkämpft wurden? Oder überspitzt: Kann man österreichische Unternehmen verpflichten, die ganze Welt zu retten?

Kann man nicht. Denn Unternehmen haben nur eine (gesellschaftlich verantwortungsvolle!) Aufgabe: Gewinn zu machen und dabei geltendes lokales Recht zu beachten. Moral ist Aufgabe der Gesellschaft – also des Staates. Schon weil moralisches Handeln auch Abwägungssache ist. Etwa, wenn es starke Hinweise darauf gibt, dass die (in unserem Koordinatensystem völlig unvorstellbare) Kinderarbeit in Ländern wie Bangladesch Kinderprostitution verdrängt. Oder (unseren Bürgerbeteiligungsstandards nicht entsprechende) Kraftwerksprojekte in Südamerika ökologischen und sozialen Nutzen tragen. Oder eben, wenn sich, wie im Falle Iran, die Überzeugung durchsetzt, dass Wandel durch Handel sinnvoller ist als Isolation.

Die sogenannten Corporate Social Responsibility-Initiativen, die derzeit von der Europäischen Kommission, aber auch der Bundesregierung ausgebrütet werden, nehmen diese Bewertungen nicht vor. Sie sind bestenfalls ein unzulänglicher Versuch, den Schwarzen Peter an die Unternehmen weiterzureichen. Die daraus resultierende öffentliche Anständigkeits-Kontrolle ist nichts weiter als Spiegelfechterei, von der mittlerweile ein ganzer Wirtschaftszweig prächtig lebt: PR-Büros, Berater, Verlage und Autoren berichten gerne vom guten Tun ihrer Kunden – und eine Unzahl an NGOs lebt verdammt gut von der Kritik an denselben.

Es wird Zeit, dass wir uns wieder auf die eigentlichen Aufgaben konzentrieren: Staaten sollen die Regeln vorgeben – und diese auch sanktionieren. Damit Unternehmen befreit von der Doppelmoral angeblicher weltweiter gesellschaftlicher Verantwortung Wohlstand schaffen können. Dann schwindet auch die Macht der privat finanzierten (und selbst reichlich unkontrollierten) Anständigkeits-Guerilla.