Hintergrund zum Manipulationsskandal : Die Lage zwei Wochen nach dem VW-Skandal

Auch diese Woche verspricht nicht ruhiger zu werden. Am Dienstag spricht der neue VW-Chef Matthias Müller in Wolfsburg erstmals zu den Beschäftigten, tags darauf steht schon die nächste Krisensitzung des Aufsichtsrates auf dem Programm. Am Donnerstag muss der US-Chef von VW, Michael Horn, im amerikanischen Kongress Rede und Antwort stehen.

Initiator für den neuen Ärger in Deutschland ist ein Privataktionär aus Baden-Württemberg, der beim Landgericht Braunschweig eine Schadenersatz-Klage eingereicht hat, wie ein Gerichtssprecher bestätigte. Der Mann hatte im April und Juli VW-Vorzugsaktien gekauft und möchte diese Transaktion nun rückabwickeln, teilte seine Kanzlei mit. Laut seinen Anwälten hat der Kläger rund 20.000 Euro verloren.

Die Anwälte argumentieren, dass sich VW wegen einer Reihe von unterlassenen sowie unvollständigen Kapitalmarkt-Informationen gegenüber seinen Aktionären schadenersatzpflichtig gemacht habe. Volkswagen wollte den Fall nicht kommentieren; der Vorgang sei ihm nicht bekannt, sagte ein Sprecher. Die Klage wurde den Angaben des Gerichts zufolge noch nicht an den Konzern zugestellt. In die gleiche Kerbe schlagen inzwischen auch mehrere deutsche Kanzleien, die Gemeinschaftsklagen vorbereiten. Auch in den USA arbeiten Rechtsanwälte an Sammelklagen enttäuschter VW-Kunden, unabhängig davon drohen VW zudem Milliardenstrafen der Behörden.

Ingenieure geben Manipulationen zu

Mehrere Mitarbeiter haben inzwischen Manipulationen gestanden. Die Ingenieure hätten bei Befragungen ausgesagt, 2008 die Schadsoftware installiert zu haben, berichtete die "Bild am Sonntag" unter Berufung auf die interne Revision des Autobauers. VW wollte den Bericht nicht kommentieren. Nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS) geht der VW-Aufsichtsrat von einem weitaus größeren Kreis an Mitwissern aus als bisher angenommen. "Die These, alles sei nur das Werk von ein paar kriminellen Entwicklern, ist nicht haltbar", zitierte das Blatt aus dem Kontrollgremium. Der Konzern habe "systematisch Kunden und Behörden getäuscht". Der Aufsichtsrat dränge Müller dazu, rasch in die USA zu reisen und dort Reue zu zeigen.

"Wir kommentieren diese Berichte nicht", sagte ein VW-Sprecher. Das Unternehmen treibe die Aufklärung der Geschehnisse voran. "Sobald wir belastbare Ergebnisse haben, werden wir darüber informieren." Laut "Bild am Sonntag" hatten die VW-Ingenieure keine Lösung gefunden, wie sie sowohl die Abgasnormen als auch die Kostenvorgaben für den Motor einhalten konnten. Daher sei die Entscheidung gefallen, die Manipulations-Software zu verwenden. Unklar sei aber weiterhin, wer die Anweisung für die Installation gab.

Harter Einbruch für VWs Markenwert

Laut der Unternehmensberatung Interbrand hat der Skandal dem Markenwert von Volkswagen massiv geschadet. Laut der jährlichen Rangliste der wertvollsten Marken sank der von Interbrand ermittelte Wert für Europas größten Autobauer um neun Prozent auf gut 12,45 Milliarden Dollar (11,2 Milliarden Euro). Vor Bekanntwerden der Tricks bei Diesel-Abgasen sei man noch von einem Zuwachs von zehn Prozent ausgegangen, teilte Interbrand mit. Im Ranking rutschte Volkswagen dadurch vom 31. auf den 35. Platz ab.

Bei der ebenfalls betroffenen Konzernmarke Audi sehen die Experten immer noch ein Plus beim Markenwert von fünf Prozent auf 10,3 Milliarden Dollar, wodurch sie einen Platz höher auf den 44. Rang klettern kann. Dabei bleiben zwei Autobauer laut Interbrand die wertvollsten Marken aus Deutschland: BMW behielt den 11. Platz mit 37,2 Milliarden Dollar. Mercedes-Benz wurde vom Online-Händler Amazon aus den Top 10 verdrängt und landete auf Rang 12 mit 36,7 Milliarden Dollar.

Apple baute an der Spitze des Rankings mit einem Sprung von 43 Prozent auf knapp 170,3 Mrd. Dollar den Abstand noch weiter aus. Google als Nummer zwei rückte um zwölf Prozent auf 120,3 Milliarden Dollar vor. Interbrand berechnet den Markenwert auf Basis von Geschäftszahlen, der Wirkung der Marke auf die Kunden sowie einer Einschätzung der Fähigkeit, in der Zukunft Gewinne zu sichern.

Müller braucht Zeit für Antworten

"Mir ist bewusst, dass Sie als Aktionäre des Konzerns viele Fragen haben, auf die Sie gern eine Antwort hätten", schrieb der neue VW-Chef Müller in einem auf der VW-Internetseite veröffentlichten Brief an die Aktionäre. "Ich versichere Ihnen, dass ich Ihnen Antworten geben werde". Dafür bat Müller aber um Zeit.

Auch die französische Justiz leitete inzwischen Vorermittlungen wegen schweren Betrugs gegen VW ein. In Frankreich sind rund 950.000 Autos von den Manipulationen betroffen. Die Regierung kündigte als Reaktion Stichproben der Abgaswerte von 100 Fahrzeugen an und erwägt auch, Fördergelder für umweltfreundliche Autos von VW zurückzufordern.

Weitere Krisensitzung

Der Skandal wird nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur auch den VW-Aufsichtsrat erneut beschäftigen. Am Mittwoch wird das 20-köpfige Kontrollgremium abermals zu einer Krisensitzung in Wolfsburg zusammenkommen. Dabei soll nach dpa-Informationen auch der Präsidiumsbeschluss zur Wahl des bisherigen VW-Finanzchefs Hans Dieter Pötsch in den Aufsichtsrat abgesegnet werden. Anschließend soll Pötsch vom Amtsgericht Braunschweig als Aufsichtsrat bestellt werden, um dann dessen Vorsitzender zu werden. Seitens der Gewerkschaft IG Metall gibt es aber immer noch Kritik an der Personalie.

Einen Tag zuvor soll es am Dienstag auf dem Werksgelände zudem eine Betriebsversammlung für die VW-Mitarbeiter geben. Dann wird Müller auch erstmals das Gespräch mit den Beschäftigten suchen. An der Parlamentsbefragung von VW-US-Chef Horn werden auch Vertreter der US-Umweltbehörde EPA teilnehmen, die den Fall ins Rollen gebracht hatte.

Auch BMWs untersucht

Zudem wurde bekannt, dass die EPA auch BMW-Fahrzeuge unter die Lupe nehmen wird. Entsprechende Pläne seien dem Unternehmen bekannt, sagte ein BMW-Sprecher und bestätigte damit entsprechende Informationen der "Financial Times". "Nachdem wir uns immer an Vorschriften und Regeln gehalten haben, gehen wir davon aus, dass uns keine negativen Überraschungen erwarten."

Unklar blieb zunächst, ob auch andere Hersteller genauer geprüft werden. Ein Daimler-Sprecher sagte, eine offizielle Anfrage sei den Stuttgartern noch nicht bekannt. "Aber natürlich werden wir die Behörden jederzeit vollumfänglich unterstützen." Die Behörden führten ohnehin regelmäßige Überprüfungen durch.

Im weltweit zweitgrößten VW-Werk im mexikanischen Puebla wurden unterdessen Sonderschichten gestrichen. In dem Werk werden mehr als 500.000 Fahrzeuge pro Jahr gefertigt. Ein Großteil ist für den Export in die USA bestimmt.

Zumindest für die Besitzer von möglicherweise betroffenen Dieselautos gibt es aber einen kleinen Lichtblick: Nach Audi will auch VW eine spezielle Internetseite einrichten, in der über die Fahrgestell-Nummern überprüft werden kann, ob ein Wagen von den Manipulationen betroffen ist, sagte ein VW-Sprecher. (apa/dpa)