Preisgestaltung : Der Kunde handelt nicht rational

Zu lange haben sich die Wirtschaftswissenschaftler und auch Praktiker mit einem Menschenbild beschäftigt, das zwar einfach zu beschreiben und zu modellieren ist - der Mensch ist rational, vollständig informiert, hat stabile Präferenzen, und so weiter-, aber nicht der Realität entspricht. Der Kunde ist kein Homo Oeconomicus, sondern in seinem Denken und Handeln geprägt, limitiert oder geleitet durch evolutionsbiologische und -psychologische Aspekte. Behavioral Pricing ist demnach in aller Munde. Man kann Kunden besser verstehen und bedienen, wenn man sich auf die Spielregeln einlässt.

Niemand kann alle Preise der Produkte kennen, die man kauft. Das Preiswissen der Kunden ist deutlich geringer, als sich das die meisten Marketingmanager meist vorstellen. Ja, im Supermarkt vergleicht er vielleicht ad hoc die Preise einer Produktkategorie im Regal, weil sie nebeneinander stehen, genauso schnell aber sind sie wieder vergessen. Fragen Sie einmal einen Bekannten, wie teuer ein Glas Marmelade ist. Fakt ist: Der Kunde kennt die Preise häufig nicht genau und hat nur eine ungefähre Vorstellung, was etwas kosten darf oder soll. Daher wird die Preiswichtigkeit und -sensibilität häufig höher eingeschätzt, als sie tatsächlich ist.

Der Kunde fühlt sich oft bestraft

Dies bietet natürlich eine hervorragende Ausgangssituation für Preisdifferenzierung. Kleine Preisunterschiede von wenigen Prozentpunkten sind für die meisten Kundengruppen nicht merklich. Allerdings gibt es neben der großen Mehrheit der Kunden natürlich immer auch eine gewisse Minderheit, die preissensibel auf ihre Produkte und Dienstleistungen reagieren. Daher ist besondere Vorsicht bei übermäßiger Nutzung von Promotions und Preisnachlässen geboten. Denn noch einmal: Der Kunde ist kein Homo Oeconomicus, das heißt er ist nicht vollständig informiert, lernt aber dazu. Wenn man einem Kunden drei Mal hintereinander ein Sonderangebot gemacht hat, erwartet er es beim vierten Kauf auch wieder. Wenn er ständig Promotions bekommt, gewöhnt sich der Kunde daran. Wird die Promotion dann beendet, müssen die Kunden erst wieder entwöhnt werden, was einer Bestrafung gleichkommt. Sie fühlen sich belohnt, wenn sie wieder ein Schnäppchen machen. Gerade auch durch viele Sonderangebote im Internet werden viele Kunden zu Smart Shoppern erzogen.

Ein weiteres Phänomen, das Behavioral Pricing für sich nutzt, ist die "Tendenz zur Mitte": Bietet man dem Kunden drei Versionen eines Produktes oder einer Dienstleistung an, tendiert er zum mittleren Angebot. Denn das teuerste Angebot ist zu teuer, das billigste zu billig und die goldene Mitte wahrscheinlich genau richtig. Diese Form des Versioning funktioniert in vielen Fällen, sei es im B2C-, aber auch immer öfter im B2B-Kontext. Ein Maschinenhersteller mit zwei Maschinen - Standard und Premium - verkauft die Top-Maschine, die aber eigentlich ein gutes Preis-Leistungsverhältnis hat, zu selten. Was sollte er machen? Eine Medium-Version einführen, um einerseits Qualitäts- und andererseits Wirtschaftlichkeitsbedenken zu minimieren und damit die Kaufbereitschaft positiv zu stimulieren.

Nichtsdestotrotz hat der Kunde aber weiterhin die Macht, sich für oder gegen ein Angebot zu entscheiden. Die Macht der Anbieter wächst allerdings insofern, dass sie dem Kunden angepasste Angebote und damit auch Preise unterbreiten, und ihn so stärker beeinflussen können. Die richtigen Produkte und Preise für ein erfolgreiches Up- und Cross-Selling zu bestimmen ist also mindestens so wichtig wie die Preisdifferenzierung selbst. Nur wenn Behavioral Pricing im breiteren Kontext des Behavioral Marketing gesetzt wird, kann es erfolgreich sein.

Dr. Thomas Haller ist Managing Partner bei Simon-Kucher & Partners in Wien, Dr. Rainer Meckes ist Executive Vice President bei Simon-Kucher & Partners in Bonn.