Power-Pools : Demand Response: Wie die Industrie jetzt ihren Energiebedarf in virtuellen Pools optimiert

Groß und mächtig liegt es da inmitten der Hohen Tauern. Das Pumpspeicherkraftwerk Kaprun ist eine von vielen Anlagen des Verbund. Seit knapp drei Jahren verfügt der heimische Energieversorger allerdings auch über ein „virtuelles“ Netz an Kraftwerken, die praktisch unbekannt sind – den sogenannten Power Pool. Über das ganze Land verstreut sind hier dezentral die Anlagen von Industriebetrieben und Ökostrombetreibern zusammengeschaltet. Und die Leistung, über die Power Pool inzwischen verfügt, ist auch im Vergleich zu Kaprun beachtlich – sie entspricht in etwa der installierten Leistung des Pumpspeicherkraftwerks Kaprun Oberstufe. Nicht gerade wenig für ein Netz an Anlagen, die überhaupt nicht dafür gebaut wurden – sondern in erster Linie bei der heimischen Industrie im ganz normalen Betrieb eingesetzt sind.

Geld für Flexibilität

Das Zauberwort dahinter heißt Lastmanagement, auch bekannt als Demand Response. Und das funktioniert, stark vereinfacht, so: Ein großer Energieverbraucher, zum Beispiel ein Metallverarbeiter, vereinbart mit einem Anbieter für Demand Response bestimmte Schwankungen beim Energieverbrauch während der Produktion. Das kann bedeuten, dass der Stromverbrauch des Metallverarbeiters kurzfristig deutlich steigt oder fällt, zum Beispiel wenn eine Anlage abgeschaltet oder hochgefahren wird. Neben dem Metallverarbeiter nehmen andere Industriebetriebe aus anderen Branchen und Energieerzeuger teil, die alle relativ kurzfristig ihren Verbrauch von Strom verändern können. Genau diese Flexibilität vermarktet der Anbieter für Demand Response am Regelenergiemarkt – und zwar genau dann, wenn die Stromnetze am dringendsten darauf angewiesen sind. Gibt es zu viel Strom, fahren die Teilnehmer ihre Anlagen hoch. Bei der Flaute fahren sie die Anlagen für einige Minuten oder Stunden herunter.

Der Effekt: Die Netze bleiben auch bei großen Schwankungen stabil, ohne dass ein einziges neues Kraftwerk dafür gebaut werden muss. Die stabilen Netze sind so ein zentrales Motiv der Energiewirtschaft und vor allem der Netzbetreiber, wie hierzulande der APG. Für die Anbieter von Demand Response und die industriellen Teilnehmer stehen dagegen die Erlöse aus dieser Dienstleistung im Vordergrund. Denn wer am Power Pool und vergleichbaren Angeboten der Konkurrenz teilnimmt, kann ordentliches Geld mit einer Dienstleistung verdienen, die es noch vor wenigen Jahren überhaupt nicht gab: Eine genau gesteuerte Schwankung seines Verbrauchs.

Eckdaten für die Teilnahme

Carina Putz, Produktmanagerin für Demand Response beim Verbund, erklärt die wichtigsten Eckdaten für die Teilnahme: Ein einzelner „Pool“ besteht demnach aus mehreren industriellen Teilnehmern und erreicht so je Teilnehmer ein Potential bis zu etwa fünf flexibel einsetzbaren Megawatt. Im Idealfall kommen die Teilnehmer eines Pools aus unterschiedlichen Branchen, weil ihre Potenziale sich dann gegenseitig ergänzen.

Sie müssen erstens über flexibel einsetzbare Produktionsanlagen oder vergleichbare Technologien verfügen – etwa große Pumpen, Mühlen, Öfen, Kühlanlagen, Druckluft bis hin zu eigenen Anlagen für die Energieerzeugung. Im Fokus stehen damit vor allem energieintensive Betriebe der Stahl- und Metallindustrie, aber auch Papierfabriken, Zementhersteller oder Unternehmen der Wasser- und Abwasserwirtschaft sowie die Nahrungsmittelindustrie. Und zweitens müssen die Anlagen über eine steuerbare Programmiertechnik verfügen, an die Verbund oder ein anderer Anbieter für Demand Response andocken kann. „Unserer Erfahrung nach sind die Industriebetriebe hier in der Regel sehr gut ausgestattet“, sagt dazu Carina Putz.

Betrieb entscheidet über Abrufe selbst

Obwohl der Regelenergiemarkt ein sehr physischer Markt sei und es deshalb bei den Abrufen keine klare Gesetzmäßigkeit gebe, werde mit den Kunden im Vorfeld klar festgelegt, wann die Abrufe zu erfolgen hätten, heißt es beim Verbund. Zum Beispiel kann ein Betrieb die Häufigkeit der Abrufe entsprechend der eigenen Produktion zeitlich variabel bestimmen. Je nach Möglichkeit der eigenen Produktion legt ein Betrieb dann entweder relativ häufige Zeiten fest, oder auch mehrere pro Monat oder auch nur mehrere in einem halben Jahr. „Wichtig ist, dass die Anlagen in der festgelegten Zeit tatsächlich zu 95 Prozent der Zeit für einen Abruf verfügbar sind“, erklärt Putz. Im Vorfeld sorgen umfangreiche Tests mit Experten des Power Pool vor Ort dafür, dass es in der Praxis funktioniert.

„Das Bemerkenswerte daran ist, dass die Flexibilität bei den Industriebetrieben schon da ist. Diese Flexibilität können sie jetzt ohne großen Aufwand und ohne Einbußen in der Produktion vermarkten“, sagt Carina Putz. Der Erlös für die Teilnehmer gliedere sich grundsätzlich in zwei Hälften: Erstens mit rund 30 Prozent nur für die Vorhaltung der Kapazitäten. Zweitens mit rund 70 Prozent für die tatsächlich erbrachte Leistung.

Zum möglichen und tatsächlichen Gewinn

Wie viel ein Industriebetrieb mit der Teilnahme tatsächlich erlöst, will keiner der in Österreich tätigen Anbieter sagen – denn je nach Art, wie und wann ein Unternehmen produziert, werden mit jedem Teilnehmer individuelle Eckdaten zum Lastmanagement fixiert. In einem früheren Gespräch hat der deutsche Anbieter Entelios gegenüber dem INDUSTRIEMAGAZIN darauf verwiesen, dass Erlöse von 30.000 bis 50.000 Euro pro Megawatt pro Jahr erreicht werden könnten. Demnach könne zum Beispiel ein großer Metallverarbeiter pro Jahr mit dem Verkauf seiner Flexibilität am deutschen Regelenergiemarkt einen bis zu siebenstelligen Betrag verdienen.

Doch diese Werte schwanken genauso wie die Strompreise. Deshalb hier eine Faustformel, die in Österreich auf jeden Fall gilt: Wer über Demand Response Strom bezieht, bekommt ihn umsonst – und dazu je Megawattstunde eine Geldsumme, die etwa das Zehnfache des aktuellen Börsenpreises beträgt.

Allerdings machen zumindest in Deutschland bisher viel weniger Industriebetriebe mit als erwartet, was mit den tieferen Strompreisen und den strengen Bedingungen an der Teilnahme zusammenhängen dürfte. So muss ein Unternehmen in Deutschland mindestens 50 Megawatt Abschaltleistung anbieten – in Österreich ist man beim Power Pool schon ab 500 Kilowatt dabei. Carina Putz ist sich jedenfalls sicher: „Die Nachfrage nach Demand Response bei den Betrieben ist da, und sie wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen.“ Dafür spricht die steigende Zahl der Anbieter für Demand Response hierzulande. Nachdem der Verbund als Erster in Österreich diesen Markt betreten hat, haben sich inzwischen über ein Dutzend Konkurrenten beim Netzbetreiber APG angemeldet. Etwa acht von ihnen sind bereits tatsächlich aktiv.

US-Anbieter verschenken Strom

Warum wird diese Flexibilität plötzlich zu einem gefragten Produkt? Der Grund dafür ist die Energiewende, die mit dem Ausbau der Erneuerbaren massive Schwankungen in die Stromnetze hineinbringt. Stunden, in denen plötzlich große Energiemengen im Netz fehlen, nehmen genauso zu wie die Zeiten massiver Überschüsse. Der Druck auf die Energiewirtschaft steigt. Ein besonders plakatives Beispiel im deutsch-österreichischen Strommarkt sind die immer häufigeren Negativpreise – also Zeitfenster, in denen man Geld mit dem Verbrauch von Strom verdienen kann. Und in Texas hat der Energieversorger TXU Energy kürzlich international für Schlagzeilen mit der Ankündigung gesorgt, die Elektrizität an seine Haushaltskunden zwischen 21 und 6 Uhr komplett zu verschenken. Der Grund: Im Süden der USA stehen nicht nur unzählige Bohranlagen für Fracking, sondern auch riesige Windparks – und nachts weiß TXU einfach nicht wohin mit dem Strom. Der Schritt ist nicht nur ein Werbegag. Der Energiekonzern hofft nich nur auf mehr Kunden, sondern auch auf die Entlastung der Netze.

Denn auf der Ebene der für die Industrie relevanten Übertragungsnetze und Verteilnetze klettern mit dem Ausbau der Erneuerbaren auch die Kosten für die Regelenergie in die Höhe. Das sind jene Strommengen, die Energieunternehmen bereit halten müssen, um bei Schwankungen für Stabilität zu sorgen. Deshalb suchen die großen Stromkonzerne nach Wegen, um die Schwankungen auszulagern – indem das gesamte System flexibler wird. Und das größte Potential dafür bieten keineswegs die Haushalte, wie die Lobby der „Smart Meter“ unermüdlich behauptet, oder das Manöver, das die Texaner sich ausgedacht haben. Sondern vor allem das Gewerbe und die Industrie, auf die in Österreich rund 70 Prozent des Stromverbrauchs entfallen. Entsprechend hat der Verbund als „first mover“ hierzulande sein virtuelles Kraftwerk dezidiert an die großen Hersteller ausgerichtet.

Im Schatten der Voestalpine

Inzwischen verfügt allein der Power Pool über knapp 30 Teilnehmer. Der prominenteste davon ist der Linzer Stahlriese Voestalpine. Innovationen wie Demand Response seien für einen Hersteller wie die Voestalpine überlebenswichtig, meinte bei einer Veranstaltung zu diesem Thema Peter Schwab, Vorstand der Metal Forming Division. Die gesamte über Demand Response installierte Leistung beziffert der Verbund mit etwa 120 Megawatt positiver Regelleistung und 120 Megawatt negativer Leistung.

Die Dimensionen dahinter lassen sich am besten am Kraftwerk Kaprun veranschaulichen. So beträgt die installierte Leistung von Kaprun Oberstufe rund 120 Megawatt, und zwar ist es genau diese Leistung beim Hochpumpen (negative Regelleistung) als auch beim Herablassen über die Turbinen (positiv). Ordentliche Volumina also, die da inzwischen auch bei den virtuellen Kraftwerken bewegt werden – zum Beispiel, wenn eine harte Windflanke vom Burgenland her machtvoll ins Land drückt.

Bei den derzeitigen Mengen des Lastmanagements dürfte es nicht bleiben – denn mit der Energiewende steigt auch der Bedarf an Flexibilität weiter an, im Netz wie auch bei der Industrie. So beziffert die Münchner Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft das Potential für Demand Response allein bei der Flexibilisierung der Elektrolichtbogen-Öfen, die in Österreichs Stahlindustrie installiert sind, mit etwa 32 Megawatt. Für die Elektrolichtbogen-Öfen in der deutschen Stahlindustrie beträgt der Wert demnach etwa 680 Megawatt. Und wenn alles gut geht, verdient ein Betrieb mit jeder Megawattstunde – und bekommt dabei den Strom des Öfteren komplett umsonst.