Geheime TTIP-Papiere : Autoindustrie als Faustpfand: So setzen die USA Europa unter Druck

Seit 2013 verhandeln die EU und die USA über ein Freihandelsabkommen, das den Warenfluss zwischen den beiden Partnern vereinfachen und Arbeitsplätze schaffen soll. Gegen TTIP gab es vor allem in Österreich, Deutschland und Frankreich regelmäßig Proteste. Die Kritiker sehen durch TTIP Gefahren für Rechtsstaat und Demokratie und befürchten den Abbau europäischer Standards. Geheime Verhandlungsprotokolle bestätigen ihre Argumente.

Washington droht mit höheren Schranken für Europas Autobauer

Denn die US-Regierung setzt Europa bei den Verhandlungen über das transatlantische Handelsabkommen TTIP deutlich stärker und weitreichender unter Druck als bisher bekannt. Das geht aus Abschriften geheimer Verhandlungsdokumente hervor, die der "Süddeutschen Zeitung", WDR und NDR vorliegen. Mehrere mit den Verhandlungen vertraute Personen haben den Medien bestätigt, dass es sich bei den Dokumenten um aktuelle Papiere handelt. Greenpeace ist nach eigenen Angaben im Besitz der Originale.

Demnach droht Washington damit, Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug zu erreichen, dass die EU mehr US-Agrarprodukte abnimmt. Gleichzeitig attackiere die US-Regierung das grundlegende Vorsorgeprinzip beim EU-Verbraucherschutz, der 500 Millionen Europäer derzeit vor Gentechnik und Hormonfleisch in Nahrungsmitteln bewahre, heißt es in dem Bericht der "Süddeutschen Zeitung".

Massive Schieflage bei der Liberalisierung

"Das Misstrauen der deutschen Maschinenbauer ist zu recht groß", so der EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer von den Grünen. Es drohe die Gefahr, dass angesichts des Verhandlungszeitdrucks Kapitel gesäubert würden und vor allem mittelständische Unternehmen in Europa das Nachsehen hätten.

Der "Süddeutschen Zeitung" zufolge nimmt Washington besonders die Hoffnungen der Autobauer als Faustpfand - damit die Europäer weit mehr Zugeständnisse machen als die Gegenseite.

So heißt es in einem Protokoll der EU-Kommission: "Der Wert des Handelsvolumens ist noch ungleich und wird ungleich bleiben, bis die USA sich zu Zollstreichungen für motorisierte Fahrzeuge verpflichten."

Falls der Zeitung zufolge die USA bei Autoimporten weiter blockieren, hätte Europa zum Start des Abkommens Erleichterungen für volle 92 Prozent des Werts der US-Güterexporte zugestimmt - die USA umgekehrt aber nur für 78 Prozent der europäischen Exporte.

USA verweigern sich der Installierung von öffentlichen Gerichten

Die Dokumente offenbaren den Angaben zufolge zudem, dass sich die USA dem dringenden europäischen Wunsch verweigern, die umstrittenen privaten Schiedsgerichte für Konzernklagen durch ein öffentliches Modell zu ersetzen. Sie haben stattdessen einen eigenen Vorschlag gemacht, der bisher unbekannt war.

Greenpeace kündigte an, die knapp 250 Seiten starken Unterlagen am Montag (11.00 Uhr) auf einer Pressekonferenz präsentieren zu wollen. Ab diesem Zeitpunkt sollen sie auch im Internet abrufbar sein. Laut Greenpeace handelt es sich um 13 Vertragskapitel, welche rund die Hälfte des gesamten Abkommens darstellten. Sie zeigen demnach den Stand vor der am Freitag abgeschlossenen 13. Verhandlungsrunde.

Mit der Veröffentlichung will Greenpeace den Bürgern einen ungefilterten Einblick in den Verhandlungsstand geben. Während die EU ihre Vorschläge veröffentlicht, beharren die USA bisher auf Geheimhaltung ihrer Positionen. TTIP-Gegner üben immer wieder scharfe Kritik an dieser Intransparenz.

"Es bestätigen sich so ziemlich alle unsere Befürchtungen"

"Damit können wir endlich beweisen, was bisher vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wurde. Unsere schlimmsten Befürchtungen beim Handelspakt TTIP haben sich bestätigt", erklärte Alexander Egit, Geschäftsführer von Greenpeace in Österreich. Das Freihandelsabkommen rüttle "an den Fundamenten des europäischen Umwelt- und Verbraucherschutzes".

So wollten die Vereinigten Staaten Produktverbote zum Schutz der menschlichen Gesundheit nur zulassen, wenn diese wissenschaftlich belegt seien, berichten "SZ", WDR und NDR. Europa dagegen verbietet Produkte wie hormonbehandeltes Fleisch oder Genfood häufig schon vorsorglich bei Hinweisen auf Risiken. In den USA kommt es dagegen oft erst zu Verboten, wenn Menschen zu Schaden gekommen sind.

Auch Klaus Müller vom deutschen Bundesverband der Verbraucherzentralen sagte zur "SZ": "Es bestätigen sich in den Texten bisher so ziemlich alle unsere Befürchtungen bezogen auf das, was die US-Amerikaner bei TTIP in Bezug auf den Lebensmittelmarkt erreichen wollen."

Aus den Verhandlungstexten lässt sich den Medien zufolge ablesen, wie verhärtet die Fronten sind. An vielen Stellen führen die Unterlagen die Positionen der USA und der EU gesondert an, ohne dass gemeinsame Formulierungen gefunden worden wären.

Das große Versprechen von mehr Jobs

Besonders brisant bei diesem Thema: Während Manager, Teile der Industrie und der Politik dafür sind, sind weite Teile der Bevölkerung vehement dagegen - und zwar nicht nur in Europa, sondern auch auf der anderen Seite des Atlantiks.

So verweisen die "Oberösterreichischen Nachrichten" darauf, dass neue amerikanische Wirtschaftsstudien den Zusammenhang von Importen aus China und der Arbeitslosigkeit in den USA klar beziffern. Demnach verdanken einschlägige Industriebranchen in den USA 44 Prozent ihrer Arbeitslosigkeit chinesischen Einfuhren.

Auch die Einkommen seien demnach um 500 Dollar pro 1000 Dollar zusätzlicher Importe gesunken. Diese Einbrüche hätten in den USA nicht durch Exporte kompensiert werden können. Auch wegen des nordamerikanischen Handelsabkommens Nafta seien hunderttausende Arbeitsplätze nach Mexiko ausgelagert worden.

Da überrascht es wenig, dass in einer Umfrage des US-Fernsehsenders CNBC nur ein Drittel der Amerikaner der Meinung ist, dass der Freihandel gut für sie war - die Mehrheit von ihnen ist vom Gegenteil überzeugt. Tatsächlich ist der Lebensstandard in den vergangenen Jahren sukzessive immer weiter gesunken. Und die Aufmerksamkeit gegenüber TTIP ist in den vergangenen Wochen enorm gestiegen.

Clinton: "Ich möchte einem Amerikaner sagen können, dadurch steigt dein Gehalt. Das aber kann ich nicht."

Im Vorfeld des Präsidentschaftswahlkampfes tun sich die Kandidaten entsprechend schwer, die öffentliche Meinung zu ignorieren - und die ist gegen TTIP. Nach den republikanischen Kandidaten Donald Trump und Ted Cruz hat Ende April auch die demokratische Kandidatin Hillary Clinton ihre skeptische Haltung gegenüber TTIP bekräftigt. Vor wenigen Tagen meinte Clinton dazu: "Ich möchte in die Augen jedes Amerikaners aus der Mittelschicht schauen und ehrlich sagen können: Dadurch steigt dein Gehalt. Das aber kann ich nicht."

(APA/AFP/dpa/red)